18-10-2024
Vom roten Faden
Die ukrainische Schriftstellerin Sofia Andruchowytsch verbindet Vergangenheit und Zukunft.

Von Wolfgang Mayr
Und die ukrainische Zukunft ist gar nicht rosig. Die westlichen Verbündeten empfehlen der sich gegen den russischen Aggressor widerstandsleistenden Ukraine letztendlich die Kapitulation. Allen voran Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg die Ukraine in Schutt und Asche gelegt hatte. Die nur zögerliche Waffenhilfe zeigt es deutlich, EU, NATO und die USA scheinen kein Interesse an einem ukrainischen Sieg gegen Russland zu haben. Stichwort Putin und Gesichtsverlust! Die AfD und das BSW freuen sich darüber.
Die Ukraine soll bedingungslos einem Waffenstillstand zustimmen und die Annexion der von Russland annektierten Regionen von der Krym bis in den Donbas anerkennen. Ein Fünftel des Landes, von einer marodierenden Armee samt Söldner-Killern erobert, als Preis für den “Frieden”? Was für einen Aufschrei wird es geben, wenn die rechtsrechte israelische Regierung Gaza, das West-Jordanland und den Süd-Libanon annektiert? Weil einst Eretz Israel.
Das empfehlen Figuren wie der Ex-US-Präsident Trump, der ungarische Ministerpräsident Orban, die verschiedenen europäischen Rechtsradikalen zwischen der spanischen Vox und dem österreichischen Freiheitlichen Herbert Kickl, China, Indien, Südafrika und Brasilien. Ein furchterregendes Netzwerk.
Die bereits erfolgte Zerschlagung der Ukraine verteidigt der malermeisternde Parteiführer der AfD, Timo Chrupalla, mit der Begründung, die Ukraine sei ein Nazi-Staat. Das sagt ausgerechnet ein Politiker einer Partei, die ideologisch im fernen 1933 wurzelt. Halt weichgespült.
Stichwort Ukraine und Nazis. Die 41-jährige Sofia Andruchowytsch widmet sich auch dieser ukrainischen Geschichte (siehe: Ukraineverstehen) und macht auch vor schmerzhaften Themen und blinden Flecken nicht Halt. Wie eben der Kollaboration mit der Nazi-Wehrmacht und den mörderischen “Sondereinsatzkommandos” im Zweiten Weltkrieg.
Auch dafür erhielten Sofia Andruchowytsch im Mai 2024 und ihre Übersetzer Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck den Hermann-Hesse-Preis. Ausgezeichnet wurden damit die “Die Geschichte von Romana“ und „Die Geschichte von Uljana“, die ersten beiden des 2020 dreiteiligen Romans „Das Amadoka-Epos“. Der dritte Teil „Die Geschichte von Sofia“ folgt in diesen Wochen.
Der Roman widmet sich drei traumatischen Episoden der neuesten ukrainischen Geschichte: dem Donbas-Krieg, dem Holocaust und den stalinistischen Repressionen gegen ukrainische Kulturschaffende. Die Hesse-Jury befand, Andruchowytsch sei es gelungen, „auf formal vielfältige und beeindruckende Weise ein weitgespanntes Panorama der Ukraine des 20. Jahrhunderts zu entwerfen.“
Sie beschäftigt sich mit den verdrängten Kapiteln der ukrainischen Geschichte und Themen, die in der Sowjetzeit tabu waren: Auch und besonders mit dem Holocaust. Andruchowytsch sagte, „bisher haben wir kaum darüber gesprochen. Das ist eine Katastrophe, denn die Ukraine ist ein Gebiet, auf dem der Holocaust in größerem Ausmaß stattgefunden hat. Das erklärt das Schweigen. Aber dieses Schweigen muss gebrochen werden.“ Auch die Entdeckung der Wahrheit über den Holodomor oder die sowjetischen Repressionen sei schmerzhaft gewesen.
Im Amadoka-Epos kommen Ukrainer vor, die Juden gerettet haben und ukrainische Hilfspolizisten, die Juden zu den Erschießungsplätze der Nazis trieben.
Andruchowytsch schließt in ihren Erzähl-Zyklus auch die Nachkriegszukunft ein. Sie hofft, dass die Ukrainer:innen ihre Toleranz wieder entdecken und wertschätzen. Noch überwiegt die Ablehnung gegenüber allem Russischen, die Folge des russischen Angriffskriegs und der russischen Annexion der östlichen Ukraine. Wegen des greifbaren russischen Sieges befürchtet Andruchowytsch, daß es zu „wirklich gefährlichen Dingen“ kommen könnte.
Sofia Andruchowytsch versucht sich trotzdem im Optimismus: „Es gibt keine ausdrücklichen Verbote oder Repressionen gegenüber Menschen, die Russisch sprechen. Die Ukrainer haben im Laufe ihrer langen Geschichte gelernt, tolerant miteinander umzugehen“, sagt sie, „und die aktuellen schrecklichen Ereignisse lehren uns auch, Menschen zu akzeptieren, die anders sind als wir.“
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