03-08-2024
Vom Untergang ihrer Welt
Am Amazonas verlieren die autochthonen Völker Land und Leben

21.08.2019, Brasilien, Sao Gabriel da Cachoeira: Rauch steigt aus dem Wald in einer Region des Amazonas nahe der kolumbianischen Grenze. In Brasilien wüten die schwersten Waldbrände seit Jahren. Seit Januar 2019 sollen die Feuer und Brandrodungen im größten Land Südamerikas im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 83 Prozent zugenommen haben. Foto: Chico Batata/dpa | Verwendung weltweit
Von Wolfgang Mayr
Im peruanischen Urwald baten Angehörige der “unkontaktieren” Mashco-Piro um Hilfe. In zwei Siedlungen bettelten sie die Dörfler um Bananen. Das Auftauchen dieser Menschen sorgte weltweit für Schlagzeilen.
Krankheiten und Gewalt werden die Mashco-Piro gezwungen haben, ihre Heimat im Manú-Nationalpark zu verlassen. Sie gelten nach Experten-Einschätzung als eines der größten unkontaktierte Volk der Welt. Ihre Anzahl wird aber auf wenige Hundert geschätzt.
Laut der Menschenrechtsorganisation Survival International gibt es weltweit noch mehr als 100 “unkontaktierte” Völker. Die “Unkontaktierten” wollen mit der Außenwelt nichts zu tun haben. Diese Außenwelt, angeblich die Zivilisation, steht für Gewalt, Vergewaltigung, Mord, Raub, Vertreibung.
Teresa Maya von Survival International sieht in der ungewohnten Kontaktaufnahme der Mashco-Piro einen Hilferuf, “eine Alarmsituation”.
Die Alarmsituation ist konkret. Firmen erhielten vom peruanischen Staat Konzessionen für die Abholzung des Regenwaldes im Nationalpark Manú. Laut einer Recherche von Survival International legte allein ein Unternehmen in der Heimat-Region der Mashco-Piro ein 200 Kilometer langes Straßennetz an. Der Staat lässt den Nationalpark und die Region der Mashco-Piro plündern.
Niklas Ennen von Survival International verwies im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau auf die Forderung indigener Organisationen nach garantierten Landrechten. “Der Schutz der Landrechte der Völker ist etwas, wofür wir uns als Organisation einsetzen, weil wir wissen, dass diese Menschen gut und erfolgreich leben, wenn ihre Landrechte anerkannt und geschützt werden,” betonte Ennen im FR-Gespräch. Ennen ergänzt: “Das Auftauchen dieser großen Gruppe zeigt, dass etwas nicht stimmt. So etwas ist meist ein Zeichen dafür, dass ihr Wald zerstört wird oder ihr Land nicht mehr zugänglich ist für sie”.
Garantierte Landrechte
Survival International wirbt zudem dafür, die unkontaktierten Völker in ihrer selbstgewählten Isolation zu belassen: “Wenn Völker ihre unkontaktierte Lebensweise aufgeben, kommt es häufig vor, dass mehr als die Hälfte der Menschen nach wenigen Jahren sterben. In den 80ern wurden die Awá in Brasilien sesshaft, nach vier Jahren waren von den 91 Angehörigen noch 25 am Leben”.
Survival drängt darauf, im peruanischen Regenwald die bestehenden Schutzgebiete zu erweitern und die indigenen Gebiete endlich zu demarkieren. “Denn unkontaktierte Völker sind sehr auf ihr eigenes Land angewiesen. Das macht sie auch zu den besten Naturschützer:innen, die wir auf unserem Planeten haben”.
Vor 20 Jahren erreichte die Organisation Fenamad die Ausweisung der Reserva Territorial Madre de Dios. Es entspricht einem Drittel des Gesamtgebietes der Mashco Piro. Die restlichen zwei Drittel verscherbelte der Staat an die aggressiven Forstunternehmen. Die Mashco Piro sind dem good will der Unternehmen ausgesetzt, deren Willkür ausgeliefert.
Entgrenzte Gewalt gegen Indigene
Lateinamerika haben die indigenen Völker, Aktivist:innen sprechen von autochthonen Völkern, kaum Freunde. Sie gelten als Hindernis zum Fortschritt, bei Konservativen und gleichermaßen bei den Linken. In Paraguay, Argentinien, in Peru, in Mexiko, in allen lateinamerikanischen Ländern werden die “Indigenen” ausgegrenzt, oft verfolgt, indigenen Gemeinschaften verweisen auf die die offen anti-indianische Gewalt der Mehrheitsgesellschaften.
FFall Brasilien Beispiel Brasilien: Trotz der linken Präsidentschaft da Silvas beklagen indigene NGOs das Treiben krimineller Banden in den Trritorien, das miserable Bildungs- und Gesundheitssystem. Die GfbV besuchte das Protestcamp “Acampamento indigena Terra Livre” der NGO Univaja aus dem Javari-Tal im Nordwesten Brasiliens. Der Aktivist Beto Marubo erzählte der GfbV, dass Goldwäscher die indigene Bevölkerung im Javari-Tal bedrohen. Durch den Einsatz von Quecksilber verseuchen sie die Flüsse und didie Fische. Im Blut der Javari-Bewohner wurde Quecksilber gefunden. |
Das Gift schädigt das Nervensystem und führt zu Lähmungen, Blindheit und bei ungeborenen Kindern sogar zu Missbildungen. äAngehörige der Ava Guaraní aus dem Süden Brasiliens berichteten von schweren Vergiftungserscheinungen, weil giftige Pestizide in ihrer Region unkontrolliert eingesetzt würden. Die Behörden reagierten bisher nicht auf diese Entwicklung. |
EAuch die Demarkierung indigener Territorien geht nur schleppend voran. Weiterhin dringen illegal Goldwäscher, Holzfäller und MMitglieder der Drogenmafia in die indigenen Regionen ein. Trotz dder Gründung des neuen Ministeriums für indigene Völker fehlen die notwendigen Mittel für weitere Demarkierungen indigenen Landes.
Fall Bolivien |
Beispiel Bolivien: Auch links regiert, mit indigener Beteiligung. Im bolivianischen Teil des Amazonas spielen sich ähnliche Tragödien wie in Peru, Equador, Kolumbien, Venezuela und Brasilien ab. Beispiel Bolivien: So bedrohen laut GfbV Waldbrände in der Chiquitania, einem artenreichen Ökosystem im Nordosten Boliviens, mehrere indigene Völker: Die Chiquitanos, Ayoreos, Guarayos und Monkoxi aus Lomerío. Laut dem GfbV-Referenten Jan Königshausen ist die Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften mit mehreren zehntausenden Angehörigen durch das aktuelle Feuer zerstört worden. Hunderttausende Hektar Trockenwald sind schon verbrannt.
In vielen Fällen breitet sich das Feuer ungehindert aus, wie im Nationalpark San Matías. Auch dort leben indigene Gemeinschaften von und mit der Natur. Ein Teil der Waldbrände sind die Folge von Brandrodungen, die absichtlich riesige Flächen entwalden sollen oder die außer Kontrolle geraten sind. Die Agrarindustrie und Bodenspekulanten kommen so illegal zu Land, für Monokulturen oder als Spekulationsobjekt. Trotz der “Erschließung” liegen die entwaldeten Ländereien jahrelang brach. Die Rechte indigener Gemeinschaften werden für diese lukrativen Geschäfte ungestraft ignoriert. Bestehende Umweltgesetze bleiben ein Stück Papier, illegale Rodungen unsanktioniert. „Die seit 2019 in immer verheerenderen Ausmaßen auftretenden Waldbrände haben in den vergangenen vier Jahren in der Chiquitania bereits mehrere Millionen Hektar zerstört“, beschreibt die GfbV die Katastrophe. Das intakte Ökosystem Wald ermöglicht die traditionelle Lebensweise der Autochthonen. Mit der Vernichtung der Wälder sind ihre Traditionen und Kulturen gefährdet. Laut Umweltschutzorganisationen führte die kontinuierliche Zerstörung der Wälder bereits zu einem dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt und zu einer spürbaren Veränderung der Umwelt: Schrumpfende Wasser-Ressourcen und stark schwankendes Klima. 2021 vernichteten 252 Brände in Sibirien auf einer Fläche von 42.000 Quadratkilometern (entspricht der Größe der Schweiz) die dichten Wälder der kleinen Völker. In den “abgelegenen” Ecken der Welt, im Norden wie im Süden, werden indigene Heimaten zerstört. |
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