Das 41-köpfige Himmelfahrtskommando

Eine parteiinterne Großfamilie hat die Weichen für die rechtsrechte Landesregierung gestellt.

Von Wolfgang Mayr

Erstmals in ihrer Geschichte bildet die von Antifaschisten und Antinazisten 1945 gegründete SVP eine Landesregierung mit den Fratelli d´ Italia. Keine Partei wie irgendeine andere. Die Politikwissenschaftlerin Sofia Ventura von der Universität Bologna charakterisiert die seit einem Jahr Italien regierende Partei als rechtsextrem, rechtsradikal und rechtsnational, Francesco Collini zitiert im „Der Spiegel“ Venturi mit der Aussage, dass es zwar keine faschistische Milizen auf den Straßen geben werde, wie einst 1922. Aber, die Gefahr komme später. Wie in Ungarn, dort läuft das illiberale Experiment des Viktor Orban auf Hochtouren. Dieses Ungarn ist das Labor für ein anderes Europa, für ein Europa der Grenzen, ein Europa der Ausgrenzung, für ein autoritäres Europa. 

Die Fratelli sind von einer Randpartei zur Regierungspartei aufgestiegen. Die Anti-System-Partei dominiert jetzt das „System“. Die Fratelli wurzelten im untergegangenen Berlusconi-Projekt Popolo della Liberta´. Der verstorbene langjährige nationalliberale Ministerpräsident Berlusconi bastelte an einer großen Rechtspartei, an einem Rassemblement National all´italiana. Ein letztendlich gescheiterter Versuch, die Rechtsradikalen einzubinden. Die Fratelli geben im rechtsrechten Bündnis den Ton an.

Die FdI-Wurzeln reichen aber tiefer. Im PdL untergegangen ist nämlich Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini, der Erbe von Giorgio Almirante. Almirante hatte 1946 den Movimento Sociale Italiano gegründet. Mit dabei waren Funktionäre und Hierarchen der faschistischen Repubblica di Salo´, letzte Fluchtstätte Mussolinis nach seinem Sturz 1943. Ein Faschisten-Biotop unter dem militärischen Schutzschirm Nazi-Deutschlands.

Also, es gibt Kontinuitäten zwischen den Alt-Faschisten und den Fratelli, sie sind die politischen Enkel der Repubblica Sociale Italiano am Gardasee. Sie sind die neuen Partner der SVP, mit der sie in den nächsten fünf Jahren Südtirol regieren. Gemeinsam mit der nicht weniger rechten Lega und den reaktionären Freiheitlichen. Die Liste „Civica“ von Angelo Gennacaro gibt, neben der SVP, das „zentristische“ Feigenblatt ab. Die rechte Schlagseite ist eindeutig.

Nein, entschieden haben das nicht die Wählenden. Es waren 41 MitgliederInnen des SVP-Parteiausschusses, die der Partei diese Koalition aufgezwungen haben. Vorbereitet haben das strikte Rechtsabbiegen die potenten Interessengruppen in und außerhalb der Partei. Wie der Bauernbund, der beste Kontakte zum Fratello-Minister Lollobrigida pflegt, das Medien-Unternehmen Athesia, das seit Monaten die Fratelli weichspült. Sie und die Wahlverlierer in der SVP, die Lobbisten und Konservativen, setzten sich durch. Zum Schaden nicht nur der Partei, sondern Südtirols. Die autonome Provinz reiht sich freiwillig in die Riege der rechtsrechts regierten Regionen ein. Im Gegenzug wird die durchlöcherte Autonomie wieder hergestellt, versprach der Ministerpräsident Giorgia Meloni bei Amtsantritt vor einem Jahr.

Landeshauptmann Arno Kompatscher übergab der Ministerpräsidentin ein Reformprojekt für die Autonomie, sehr weitreichend, befindet lobend Verfassungsrechtler Francesco Palermo auf salto. In einem halben Jahr sollen die Unterhändler zu einem Ergebnis kommen. Ober-Fratelli Marco Galateo ließ seinen künftigen Chef aber wissen, dass es keinen SVP-Alleingang bei der Autonomie-Reform geben wird. Galateo-Vorgänger im Landtag, Kammerabgeordneter Alessandro Urzi´, kündigte eine Modernisierung der Autonomie an. Was auch immer das heißen mag. Spätestens in einem halben Jahr wie feststehen, was Modernisierung bedeutet.

Galateo kündigte ebenfalls an, sich gegen die Vorwürfe und Kritik der no excuses-Bewegung wehren zu wollen. Per Anzeige, weil er nicht homophob, nicht rassistisch und nicht neofaschistisch sei. Galateo sieht hinter der losen Vereinigung no excuses linke Kräfte am Werk, die sich gegen demokratische Wahlergebnisse stemmten. Ja, die Wahlergebnisse, ein Märchen, das der künftige Landeshauptmann und die italienischen Rechten ständig erzählen. Eben, ein Märchen. Den deutlichen rechten Wahlsieg gab es nicht.

Während Galateo die verschiedenen Akteure des Protests mit Anzeigen zum Schweigen bringen will, formuliert sein Lega-Partner Christian Bianchi nicht weniger deftig auf Rai Südtirol seine Kritik an den Kritikern. Ohne jedes Fundament und ohne jede Logik seien die laut Bianchi ungerechtfertigten Demonstrationen und offenen Briefe. Bianchi findet, die Proteste seien deshalb haltlos und inakzeptabel. Er, der Kritisierte, befindet autoritär, die vorgebrachte Kritik sei haltlos, gar inakzeptabel. Bianchi kennt offensichtlich nicht die republikanische Verfassung. Laut Artikel 21 dürfen Meinungen frei geäußert werden, laut Artikel 17 sind Versammlungen und Kundgebungen Teil der freien Meinungsäußerung. Das ist also inakzeptabel? Bianchi, ein Verfassungsfeind?

Marco Galateo schlug nach der letzten Kundgebung am 23. Dezember in Bozen ganz in diesem Sinne nach. Die Demonstrierenden hätten für ein Verkehrschaos gesorgt, hätten das Recht auf Bewegungsfreiheit verletzt. Absurderweise organisierten die Verantwortlichen des öffentlichen Verkehrs trotz fristgerechter Anmeldung der Kundgebung den Dienst nicht um. Wollten sie nicht? Die Bewegungsfreiheit sehen Rechte nicht eingeschränkt, wenn Frächter am Brenner den Pass oder Bauern mit ihren Traktoren Straßen und Plätze blockieren. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um einen legitimen Widerstand. Wie auch immer, der zukünftige Landeshauptmann-Vize scheint wie Bianchi die Verfassung dieser Republik nicht zu kennen. Kein Wunder, ist sie doch von Antifaschisten geschrieben worden. Die Verantwortlichen für diese haltlose und inakzeptable Demonstrationen, Zitat Bianchi, machte Galateo bei den Grünen und beim Partito Democratico aus. Er glaubt seinem eigenen Märchen. Realitätsverlust?

Die SVP scheint ihren Kompass verloren zu haben. Zugunsten der rechtsrechten Koalition. Während Galateo die Kritisierenden mit Anzeigen niederzwingen will, Bianchi der Protestbewegung politische Kompetenz abspricht, diktieren die Freiheitlichen, die dritte rechtsrechte Kraft in der künftigen Landesregierung, dem amtierenden Landeshauptmann Kompatscher ihre Forderungen in die Agenda: „Schutz der traditionellen Familie, gegen die Frauenquote und ein Verbot von Gendern“, zitierte salto aus dem freiheitlichen Forderungskatalog. 

Wer bedroht die traditionelle Familie, die übrigen Lebenspartnerschaften? Also Schwule, Lesben und Nicht-Definierte? Das ist mehr als homophob. Leiden traditionelle Familien nicht unter hohen Lebenshaltungskosten, nicht leistbarem Wohnen, dürftigen Löhnen? 

Die Freiheitlichen sind für die ethnische Quote, für den Proporz, mit dem die strukturelle Benachteiligung der deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler aufgehoben wurde und sie künftig verhindert. Frauen leiden unter struktureller Benachteiligung, verdienen bei gleicher Qualifikation weniger als ihre Kollegen, Karriere findet kaum statt, Stichwort gläserne Decke. Die Freiheitlichen sind also gegen Chancengleichheit, favorisieren die Ungleichheit.

Das von den Freiheitlichen angestrebte Gender-Verbot in öffentlichen Ämtern, Schulen und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist importierter Kulturkampf aus Österreich und Deutschland. Mit der sprachlichen Vorgabe werden Schulen politisch bevormundet, die Lehr-Freiheit eingeschränkt. Mit dem Gender-Verbot versuchen die Freiheitlichen die Medien-Freiheit einzuschränken, ein erster Schritt hin zur politischen Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die freiheitlichen Vorbilder, die sehr weit rechtsstehenden österreichischen Freiheitlichen und die in Teilen rechtsradikale AfD, brandmarken das Gendern als eine Erfindung der Eliten. Mit ihrer gegenderten Sprache wollen sich „die Eliten“ vom „Volk“ abgrenzen, der rechte Vorwurf. Die Rechten attackieren die woke Linke, der sie eine „cancel culture“-Kampagne unterstellen. Die Freiheitlichen nehmen den eigenen Vorwurf ernst und canceln, untersagen und verbieten. Die freiheitliche „Leitkultur“, eine Verbots-Kultur. Ein Horror.

Die Freiheitliche sind nur dann mit dabei, wenn das Koalitionsprogramm eine „blaue Handschrift“ trage. Was für eine arrogante Anmaßung, nur vier Prozent der Südtiroler:innen wählten freiheitlich. Die Freiheitlichen machen sich größer als sie sind. Politisch sind sie eine Randgruppe, keine politische Großmacht, nur voller Polit-Testosteron. Ähnlich abgehoben argumentiert der Lega-Landtagsabgeordnete Christian Bianchi, noch weniger Bürger:innen wählten „leghistisch“, drei Prozent. Vor fünf Jahren waren es noch elf Prozent, fast 32.000 Stimmen. Einzig die Fratelli konnten zulegen. Vor fünf Jahren schaffte Alessandro Urzi´ mit einem Restmandat den Einzug in den Landtag. Bei den Landtagswahlen im Oktober 2023 erhielten die Fratelli mehr als 16.000 Stimmen. Berauschend ist etwas anderes, ein Wahltriumph war es keineswegs. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der italienischen Wählenden blieb zuhause. Entweder eine Zustimmung zur politischen Lage oder ein Boykott der italienischen Parteien. 

Warum wurden, wenn schon ständig der Wählerwille betont wird, nicht die Wahlgewinner Südtiroler Freiheit und die JWA-Liste in die Landesregierung eingebunden? Oder die Grünen und das Team K, beide deutlich stärker als die Freiheitlichen. Das wird das unlösbare Rätsel dieser Amtsperiode bleiben.

Die 41- Mitglieder des SVP-Ausschusses, und mit ihnen die verschiedenen tonangebenden Interessengruppen in und außerhalb der SVP, drücken dem Land eine Regierung auf, die weit nach rechts kippt. Das hat sich Südtirol nicht „verdient“. Oder doch? Laut einer Umfrage ist eine deutliche Mehrheit der deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolerinnen mit der Regierung Meloni sehr zufrieden. Na dann. Der Slogan „Zusammenhalten“ gegen Rom ist damit wohl endgültig überholt, weil inhaltsleer geworden.

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