10-07-2023
Die Cordillera-Region auf Luzon: Territorialautonomie als Lösung
In zahlreichen Staaten gibt es derzeit Spannungen zwischen der Staatsregierung und regionalen Gemeinschaften, kleineren Völkern oder nationalen Minderheiten. Diese Konflikte sind oft auf die systematische Diskriminierung ganzer Volksgruppen und indigener Völker zurückzuführen.
Quelle: WIKIMEDIA Commons, Author: TUBS eigenes Werk
Von Thomas Benedikter
In zahlreichen Staaten gibt es derzeit Spannungen zwischen der Staatsregierung und regionalen Gemeinschaften, kleineren Völkern oder nationalen Minderheiten. Laut WIKIPEDIA (List of ongoing armed conflicts) werden derartige Konflikte auch häufig gewaltsam oder militärisch ausgetragen. So werden die für 2021 und 2022 registrierten bewaffneten Konflikte mit mehr als 100 Opfern in Kamerun, Süd-Thailand, Türkei, Mali, Indien, in der DR Kongo und in Angola durch ethnische Spannungen und Sezessionsbestrebungen verursacht. In solchen Krisenregionen vermischt sich oft die politische Auseinandersetzung um mehr Rechte für ein Teilgebiet mit gewaltsamen Protesten radikalisierter Aufständischer, terroristischer Gewalt und militärisch organisiertem Widerstand gegen den Staat, der gewaltsam zurückschlägt.
Diese Konflikte sind oft auf die systematische Diskriminierung ganzer Volksgruppen und indigener Völker zurückzuführen. Einige Konflikte haben ihre Wurzel in der neokolonialen Strategie jener Staaten, die die europäischen Kolonialmächte beerbt haben wie z.B. im Fall von Marokko, Indonesien, Indien, Kamerun und Chile, ohne das vom Völkerrecht vorgesehene Selbstbestimmungsrecht kleinerer Völker zu beachten. Andere Konflikte sind auf die hochgradig zentralistische Struktur des jeweiligen Staats mit einer nationalistischen Staatsdoktrin zurückzuführen, die kleineren Völkern und ethnischen Minderheiten jegliche Anerkennung, Schutz und Sonderrechte verwehrt. Klassisches Beispiel für eine derartige Politik ist seit genau 100 Jahren die Türkei.
Bei einigen dieser schwelenden Konfliktherde kommt Territorialautonomie als dauerhafte Konfliktlösung konkret in Frage. Dies auch aufgrund des Umstands, dass eine der Konfliktparteien echte Territorialautonomie fordert oder der Staat eine solche Autonomie als Ersatz für die Sezession anbietet. In einigen wenigen Fällen hat der Staat eine funktionierende Territorialautonomie für bestimmte Minderheitenregionen eingerichtet, dasselbe in ähnlich gelagerten Fällen jedoch verweigert (Indonesien, Philippinen, Frankreich). Eine solche Lösung ist in in diesen Konflikten sehr erfolgversprechend, weil
- – Territorialautonomie in anderen Teilen des betroffenen Staats bereits erfolgreich angewandt wird;
- – Autonomie zumindest von den politischen Vertretern beider Konfliktparteien begrüßt würde;
- – Sezession nicht in Frage kommt, weil diese in multiethnisch besiedelten Regionen zu verstärkten interethnischen Spannungen und Gewalt führen würde;
- – Grenzveränderungen zu internationalen Verwerfungen mit Nachbarstaaten führen könnten.
Hier ein kaum bekanntes Beispiel für einen seit Langem schwelenden Konflikt, der durch Territorialautonomie gelöst werden könnte, nämlich die Cordillera-Region der Philippinen.
Die Kordilleren (Gran Cordillera) ist die längste Gebirgskette der Philippinen, die rund ein Sechstel der Nordinsel Luzon umfasst. Die Bevölkerung besteht mehrheitlich aus dem indigenen Volk der Igorot („Die Menschen vom Berg“). Daneben leben in diesem Gebiet Minderheiten wie die Ifugao, Kalinga, Abra und andere Ethnien zusammen mit den Angehörigen der philippinischen Mehrheitsbevölkerung. Die von 2014 bis 2020 amtierende UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte Indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, entstammt der Ethnie der Igorot. Diese Cordillera-Völker bildeten 1984 eine gemeinsame Front, die Cordillera-Volksallianz, die 120 politische Kräfte und zivilgesellschaftliche Organisationen bündelt. Hauptziel dieser Bewegung ist die Einrichtung einer autonomen Region nach dem Beispiel der Autonomen Region Bangsamoro auf Mindanao.
Bis heute hat die Zentralregierung auf der Insel Luzon keine echte Autonomie eingerichtet, sondern nur die „Verwaltungsregion Cordillera“ (Cordillera Administrative Region, 19.422 km2 mit etwa 1,722.000 Menschen). Doch die Cordillera-Volksallianz strebt eine echte Territorialautonomie mit Gesetzgebungshoheit durch eine Regionalversammlung, mit einer Cordillera-Regierung und einer „Cordillera Bodong-Verwaltung“ an.
Die Verfassung der Philippinen von 1987 erlaubt die Einrichtung von zwei autonomen Regionen: Muslim Mindanao und die Cordillera-Region auf Luzon. Während auf Mindanao die Region Bangsamoro eine starke Autonomie erkämpft hat, scheiterte die Autonomie der „Cordillera“ zwei Mal an Volksabstimmungen 1990 und 1998 in der umfassenderen Region Luzon. Im Unterschied zu den Moros auf Mindanao wird die Autonomiebewegung auf Luzon von verschiedenen indigenen Bergvölkern getragen, die keine gemeinsame ethnische Identität aufweisen, aber für dasselbe politische Projekt kämpfen und dies gegen die Küstenbevölkerung von Luzon durchsetzen müssen. Die Igorot-Bergvölker unterscheiden sich nicht nur in Sprache und Kultur von der Tagalog sprechenden Mehrheitsbevölkerung der Philippinen, sondern pflegen auch besondere Formen von direkter Demokratie, von Gemeinschaftseigentum an Land und Unternehmen, und eine stark auf Kooperation ausgerichtete Selbstversorgungswirtschaft.
Die Cordillera People’s Liberation Army CPLA kämpfte seit 1986 für mehr Autonomie dieser Bergregion und gegen den „inneren Kolonialismus“ der philippinischen Regierung. Der gewaltsame Konflikt zwischen der CPLA und dem philippinische Staat ist zwar am 4. Juli 2011 offiziell beendet worden und hat sich auf die politische Ebene verlagert, doch der Streit um Autonomie bleibt ungelöst. Im März 2017 kam es zu einem neuen Anlauf im philippinischen Parlament, dem Verfassungsauftrag zu entsprechen und der Cordillera-Region echte Autonomie zuzugestehen. Alle Provinzregierungen und Stadtverwaltungen der Kordilleren trugen 2017 diesen Gesetzesvorstoß mit. Derzeit behängen im Parlament in Manila weitere drei Gesetzesvorlagen mit demselben Vorhaben.
Die multiethnischen Philippinen befinden sich derzeit in einer Phase des Umbaus in einen Bundesstaat, was zur Bildung eines eigenen Gliedstaats Luzon führen könnte. Da auf der Insel Luzon jedoch eindeutig die philippinische Mehrheitsbevölkerung dominiert, die vor allem an der Küste siedelt, würde diese Föderalisierung allein dem Interesse der Igorot-Bergvölker an echter Selbstregierung in ihren Gebieten nicht entsprechen. Echte Territorialautonomie ist gefragt.
SHARE