11-06-2023
Dunkle Flecken auf der weißen Weste
Norwegen verfolgte eine rücksichtslose Assimilierungspolitik gegenüber den Samen. Das belegt ein umfassender Report.
Von Wolfgang Mayr
Die Ähnlichkeiten überraschen nicht wirklich. Der norwegische Staat ging gegen das Sami-Volk mit äußerster Härte vor, wie einst Kanada und die USA gegen die indianische Urbevölkerung. Oder Russland gegen die sibirischen kleinen Völker.
In den 1930 Jahren wurde vom Staat Sami-Sein einfach verboten. Samisch denken und Samisch sprechen, eine Straftat. Das faschistische Italien und das frankistische Spanien erließen ähnliche Sprachenverbote, ein effizientes Instrument der Assimilierung.
Dieses Sprachgesetz war der Höhepunkt einer rücksichtlosen Assimilierungspolitik Norwegens gegenüber den Sami. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzte der norwegische Staat darauf, die indigene Nation der Sami zu norwegisieren.
Erst 2018 setzte das Parlament eine „Wahrheits- und Versöhungskommission“ ein. Die Kommission erhielt den Auftrag, die Politik der Norwegisierung – Fornorsking – und ihre Auswirkungen auf die Minderheiten zu untersuchen.
Die Untersuchung „Wahrheit und Versöhnung“ liegt nun vor, die Kommission belegte auf 758 Seiten das Unrecht gegen Samen, Kvenen, Norwegen- und Waldfinnen. Selbst der konservative Aftenposten kam nicht herum, den Report als einen „Bericht der Schande“ vorzustellen: „Ein brutales Szenario, das unser Selbstbild beschädigt. Über einen Zeitraum von mehr als 150 Jahren wurde unter staatlicher Schirmherrschaft systematisches Unrecht begangen. Und das wirft noch bis in unserer Zeit dunkle Schatten.“
Die Tageszeitung VG rechnet dem Staat und der Gesellschaft vor, dass mit dieser Politik bei unzähligen Menschen nicht mehr wiedergutzumachende Schäden angerichtet wurden. Das Dagbladet bezeichnet die Norwegisierung als Schandfleck. „Beinahe hätte die Politik ihr unheimliches Ziel der Assimilierung mit dem Verlust von Sprache und Kultur als Folge auch erreicht.“
Der norwegische Staat verhielt sich wie die meisten europäischen Staaten auch, es gab für lange Zeit keinen Platz für Minderheiten. Mit einer ganzen Reihe abenteuerliche Theorien begründete Norwegen diese Politik: Nationenbildung, Religion, Evolutionstheorie, „Rassenlehre“. Galten doch die Samen als „minderwertig“, deshalb sollte ihre Sprache und Kultur verschwinden. Konsequenterweise wurden samischen Eltern ihre Kinder weggenommen und an norwegische Pflegeltern verschenkt, zwischen den 1930er und den 1950er Jahren gab es auch Zwangssterilisierungen.
Die Abwertung und Diskriminierung lasten schwer auf den Minderheiten. Einige der Befragten berichteten der Kommission, wie sie in den 1960er Jahren von Schulen und Gemeinden als „zurückgeblieben“ abqualifiziert wurden. Die Folge, die Kinder wurden in Sonderschulen gesteckt. Für die staatliche Schule gab es keine Sami-Kultur, keine Sami-Sprache, keine Sami-Geschichte. Die Präsenz der Sami wurde ausgeblendet, sie für nichtig erklärt.
Angesichts solcher Umstände sei es geradezu verwunderlich, zitiert die TAZ aus dem Report, wie es den Samen und Kvenen trotzdem weithin gelungen sei, „an ihrer Loyalität und Liebe zu ihrer Herkunft festzuhalten und für ihre eigene Identität, Sprache und Würde und die ihrer Kinder zu kämpfen.“
Silje Karine Muotka, Präsidentin des Samenparlaments, sprach von einem historischen Ereignis. Mit diesem Report anerkannt Norwegen das den Sami und den anderen Minderheiten zugefügte Unrecht. Die Frage bleibt, welche Konsequenzen nun gezogen werden.
Der Staat bleibt zögerlich. Ein Beispiel, obwohl der oberste Gerichtshof den Bau von Windparks auf Sami-Land als illegal ablehnte, genehmigte die Regierung das nachhaltige Energieproduktion.
Schweden könnte als Vorbild dienen. Der schwedische oberste Gerichtshof bestätigte jüngst indigene Landrechte, die Folgen werden weitreichend sein.
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