Wie die Russen in den Donbass kamen

Das zaristische und das sowjetische Russland siedelte im Land der UkrainerInnen gezielt russische Bauern und IndustriearbeiterInnen an.

Von Wolfgang Mayr

Die russischen Aggressoren feiern, der Donbass steht vor der restlosen Befreiung. Russische Medien bestätigen mit ihren Videos die angebliche „Befreiung“ des Donbass, Videos, die kleine Menschenmengen zeigen, die russischen Soldaten zujubelten.

Europäische links– und rechtsradikale Medien feiern diese „Befreiung“ mit, zitieren Menschen im Donbass mit der Aussage, Russland hat sie vom ukrainischen Joch befreit. Befreit wurden laut diesen Medien auch Angehörige von den weissrussischen, griechischen und armenischen Minderheiten. Auch sie sollen, wie die übrigen Bewohner des Donbass, unter der Schreckensherrschaft der ukrainischen Armee gelitten haben.

Das glatte Gegenstück zur Recherche des ECMI, das detailliert dokumentiert, wie dieMinderheiten Opfer des Krieges wurden. Im Visier der russischen Angreifer auch Überlebende der Shoah und die jüdischen Gemeinden.

Nicht nur Rechts- und Linksradikale helfen den Kreml-Propagandisten, am Bild der ukrainischen Unterdrückung mit zu malen. Der deutsche Philosoph Precht sagt auch, Putin sieht sich als Befreier der Ostukraine und würde deshalb „sehr gerne verhindern, dass der Krieg in den Städten stattfindet“. Glaubt Precht seine eigenen Märchen und die Erzählungen des russischen Kriegspräsidenten? Die russische Armee hat die Städte zwischen der Krim und im gesamten Donbass in Schutt und Asche gelegt, die noch nicht eroberten Städte werden ständig beschossen, vorzugsweise Wohnhäuser, Wohnblocks, Kindergärten, Schulen. Wahrscheinlich die russische Art der Befreiung.

Der ukrainische Publizist Vakhtang Kebuladze versucht Precht und seine Putin-Aussage zurechtzurücken. Putin sieht sich als Befreier der Ostukraine, da liegt ein Missverständnis vor, sagt Kebuladze auf n-tv zurückhaltend diplomatisch, „Putin befreit die Ukraine nicht, er befreit sie von Menschen“. Mehr als eine Million OstukrainerInnen wurden von der russischen Armee und ihren Sicherheitsorganen bereits nach Russland deportiert. Hunderttausende flohen westwärts.

Im besetzten Donbass baut die Armee eine russische Verwaltung auf, mit Beamten aus Russland und ukrainischen Überläufern. Weiterhin aufrecht sind die separatistischen Strukturen der „Volksrepubliken“, die Russland vorwerfen, zu zaghaft zu sein. Russische Pässe, der Rubel, russisch-kyrillische Aufschriften, russische Medien, der Donbass wird im Schatten der Panzer und der Wagner-Killer russifiziert.

Das hochgerüstete Russland setzt den Plan von „Neurussland“ Schritt für Schritt um. Die südliche und östliche Ukraine galt russischen Imperialisten als Teil Russlands, diese Regionen annektiert aktuell Russland de facto mit seinem Krieg gegen die Ukraine. Offensichtlich operiert Präsident Putin wie sein Vorgänger Stalin, der ab 1947 eine halbe Million UkrainerInnen aus der östlichen in die westliche Ukraine deportieren ließ und von 1946 bis 1949 hunderttausende UkrainerInnern nach Sibirien. In dem sich entleerenden Land siedelte das Stalin-Regime regimetreue Russen an.

Eine Ausgabe ihres Magazins „Geschichte“ widmete die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ der Ukraine, „Eine Nation in Europa“. Eine kompakte Darstellung der ukrainischen Geschichte, beginnend vom mittelalterlichen Großreich der Kyjiwer Rus bis zur Verteidigung der ukrainischen Existenz im Vernichtungskrieg des russischen Präsidenten Putin und seines Apparates. Chef-Archivar Günther Haller  arbeitete ein Thema besonders heraus, über die Russen im Donbass.

Die russische Landnahme der Ukraine reicht weit in die Vergangenheit zurück. Zarin Katharina annektierte nach dem erfolgreichen Krieg gegen die Osmanen 1765 die heutige Süd-Ukraine, sie galt als Provinz Neu-Russland. Die Schwarzerdeböden zogen russischen Bauern an, heute offensichtlich die Kornkammer der Welt.

In der Ära des Zaren Alexander II wurde in der Steppe am Fluss Donez Eisenerz entdeckt. Der Zar holte sich den Waliser John James Hughes 1870 nach Donez, er sollte dort ein Stahlwerk errichten. Der Auftakt für die Industrialisierung des Donbass-Beckens, der östlichen und südlichen Ukraine.

Der Beginn einer auch tiefgehenden gesellschaftlichen Veränderung. Hunderttausende Bauern aus den Tiefen des südlichen Russlands zogen westwärts, in den Donbass. Städte wie Donezk entstanden, Städte, die die russische Armee derzeit zusammenschießt. Die zaristischen Volkszähler ermittelten 1879 im ukrainischen Gouvernement des russischen Reiches, dass in diesem Land neben 17 Millionen UkrainerInnen drei Millionen RussInnen lebten.

In den Städten und in den Industriezentren hingegen stellen die RussInnen bereits die Hälfte der Bevölkerung. Ein ständig nach oben kletternder Trend.

Während des stalinistischen Holodomors flüchteten die enteigneten ukrainischen Bauern in die Städte. Immer mehr überlagerte die russische Sprache die ukrainische Sprache der zugezogenen Holodomor-Überleben. Sie wurden russifiziert, es entstand eine russisch-ukrainische Mischsprache, die bis vor dem Krieg noch immer gesprochen wurde. Unterrichts- und Behördensprache war einzig und allein russisch.

Günther Haller kommt zum Schluss, dass der Donbass von der politisch herbeigeführten Hungersnot nur gestreift wurde. Das Leben in dieser Industrieregion war trotz stalinistischer Arbeiterverherrlichung erbärmlich. Gebeutelt wurde die Region von den stalinistischen Säuberungen, nach dem Einmarsch wütete die deutsche Wehrmacht. Rücksichtslose Ausbeutung stand auf der Agenda der Nazi-Herrschaft.

Nach Ende des Krieges mit der maßlosen Zerstörung der Industrielandschaft verschickte die stalinistische Führung Zwangsarbeiter in das Donbass-Becken. In der Nach-Stalin-Ära blühte die östliche Ukraine wieder auf, die Schwerindustrie boomte. Diese Zeit wurde lange nostalgisch verehrt.

Die nach Russland orientierte Bevölkerung unterstützte mit weniger Engagement und Vehemenz die Demokratiebewegung. Es war aber Russland, das mit Spezialeinheiten 2014 die pro-russischen Milizen bei ihrer Besetzung des Donbass entsprechend antrieb und unterstütze. Die Hoffnung der „Volksrepublik“-Funktionäre ging aber nicht auf, recherchierte Günther Haller: „Die Masse der Bevölkerung wurde aber nicht zu Befürwortern eines Anschlusses an Russland, sondern für sie hatte die Erhaltung des ukrainischen Staates Priorität“.

Diese Bevölkerung wurde zum Opfer des russischen Angriffskrieges. Die Geflohenen, die Deportierten und die Ermordeten wird das Putin-Regime wahrscheinlich wieder ersetzen, mit russischen Nationalisten, die schon lange vom Anschluss Neu-Russlands träumten.

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