Russland-Arktis: Indigene als Opfer des Ukraine-Krieges

Die indigenen Völker in der fernen "russischen" Arktis beklagen viele Gefallene

Laut der burjatischen Aktivistin Maria Vyushkova gefährdet der russische Krieg gegen die Ukraine die Existenz der indigenen arktischen Völker. Foto: themoscowtimes.org

Laut der burjatischen Aktivistin Maria Vyushkova gefährdet der russische Krieg gegen die Ukraine die Existenz der indigenen arktischen Völker. Foto: themoscowtimes.org

Von Wolfgang Mayr

 

Die burjatische Aktivistin Maria Vyushkova von der Batani Indigenous Foundation findet drastische Worte. Sie schreibt im Blog des „Democratic Security Institute“ mit Sitz im georgischen Tiflis: „Die ethnischen Minderheiten Russlands sind in den Opferzahlen des russischen Krieges in der Ukraine bekanntlich überproportional vertreten.“ Vyushkova präzisiert: „Die Tatsache, dass die indigenen Völker der Arktis im Norden Russlands zu den am stärksten betroffenen gehören, wird jedoch oft übersehen.“

Diese unverhältnismäßig hohen Todeszahlen gefährden letztendlich die Existenz vieler indigener Gemeinschaften in der russischen Arktis, warnt Maria Vyushkova (hier der vollständige Text: „The Artic Indigenous Peoples and Russias War in Ukraine“).

Betroffen davon sind laut Vyushkova die Tschuktschen, Inuit, Itelmen, Korjaken, Nenzen, Nganasanen, Udegen und Samen. Sie übertreffen sogar die Burjaten und Tuwiner, die im Krieg schwere Verluste erlitten haben.

Diese indigenen Gemeinschaften sind nicht nur im Vergleich zum Rest Russlands überrepräsentiert, sondern auch im Vergleich zur nicht-indigenen Bevölkerung ihrer Heimatregionen.

Laut einer Studie von Important Stories und dem Conflict Intelligence Team wurden für den Krieg mehr als 4.490 Zivilisten beispielsweise in der Region Chabarowsk eingezogen wurden. Dreiviertel davon sind indigene Männer.

Unterdessen halten sich hartnäckig negative Stereotypen. Die indigenen Völker der Arktis werden immer noch als „primitiv“ oder „rückständig“ bezeichnet, ein Überbleibsel des Paternalismus aus der Sowjetzeit. So wird beispielsweise Sergei Schoigu – ehemaliger Verteidigungsminister und ethnischer Tuviner – von Kreml-kritischen Russen und Ukrainern häufig als Olenjewod (Rentierzüchter) verspottet. Diese Beleidigung ist rassistisch kodiert (Shoigu hat keine Verbindungen zur Rentierzucht) und sein ethnisch russischer Nachfolger Andrej Belousow ist keinem solchen Spott ausgesetzt.

Adam Lenton von der Wake Forest University verweist darauf, dass Russen, die Putin ablehnen und sich als liberal bezeichnen, gegenüber ethnischen Minderheiten feindlicher eingestellt sind als die Mehrheit der Putin-Wähler:innen. Ein Widerspruch, findet Maria Vyushkova, Mitbegründerin der Free Buryatia Foundation, der ersten indigenen Antikriegsorganisation.

Während liberale Russen den Widerstand der Ukraine als dekolonialen Kampf empfinden, stigmatisieren sie gleichzeitig indigene Minderheiten als „die Anderen“ und – warnt Vyushkova – untergraben damit ihre eigenen antiimperialistischen Ansprüche.

Auch ukrainische Stimmen haben diese kolonialen Klischees aufgegriffen, indem sie Shoigu und andere Minderheiten mit rassistisch aufgeladener Rhetorik attackierten.

Dieser ausgrenzende Diskurs entfremdet die indigene Bevölkerung der Arktis von der Antikriegsbewegung, befürchtet die burjatische Aktivistin und trägt möglicherweise dazu bei, dass sie sich weiterhin am Krieg beteiligt.

 

Fazit

Die Kreml-Propaganda nutzt das indigene Erbe und Kriegsmythen für die Rekrutierung indigener Männer. Die oppositionellen Medien versäumen es, sich ernsthaft mit der indigenen Bevölkerung auseinanderzusetzen.

Gleichzeitig drohen ganze indigene Kulturen und Nationen innerhalb einer Generation zu verschwinden. Die menschlichen und kulturellen Kosten des russischen Krieges in der Ukraine werden weit über das Schlachtfeld hinaus nachwirken.

 

Der Blog vom „Democratic Security Institute

Der DSI-Blog, erstellt von Stipendiaten des Eurasia Democratic Security Network (EDSN) des DSI, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen Demokratie und Sicherheit in der östlichen Nachbarschaft Europas. Das EDSN wird von der US-amerikanischen National Endowment for Democracy (NED) unterstützt. Solange es Präsident Trump zulässt.

Die burjatische Aktivistin Maria Vyushkova ist promovierte Computerwissenschaftlerin und forscht über die Beteiligung ethnischer Minderheiten am Krieg Russlands in der Ukraine. Vyushkova schloss 2009 ihr Doktorat in Chemie am Institut für chemische Kinetik in Nowosibirsk (Russland) ab und arbeitete bis 2022 als Computerwissenschaftlerin an der University of Notre Dame.

Als die russische Armee im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, gründete Maria Vyushkova mit Mitstreitenden die „Free Buryatia Foundation“, die erste indigene Antikriegsorganisation.

2023 veröffentlichte sie ihre Forschungsarbeit über die Opfer der ethnischen Minderheiten Russlands bei der Invasion der Ukraine im Jahr 2022. Am 18. September 2024 sagte Maria Vyushkova vor dem Kongressausschuss der US-Helsinki-Kommission zur imperialen Identität Russlands aus.

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