Ein Millionenvolk ohne Staat: Die Kurden im heutigen Iran riefen vor 75 Jahren die Republik aus. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal gerieten sie unter die Räder der kurdenfeindlichen Weltpolitik

Mustafa Barzani in Mahabad_Kurdish Republic By The Foundation For Kurdish Library and Museum - http://www.saradistribution.com/mustafabarzani.htm, Public Domain,

Von Jan Diedrichsen

Vor 75 Jahren, am 22. Januar 1946, rief Qazi Mohammed in Mahabad eine Republik aus. Die kurdische Eigenstaatlichkeit währte jedoch nicht lang: am 31. Januar 1947 wurden Qazi Mohammedt und seine Minister am Ort der Ausrufung der Republik gehängt.

Die Kurden sind eines der ältesten Völker, die Mesopotamien und die gebirgige Region des Nahen Ostens sowie die nördlichen Grenzen des Nahen Ostens kontinuierlich besiedelt haben. Die Schätzungen über die Anzahl der Kurden gehen weit auseinander: von 25-35 Millionen Menschen ist auszugehen.

In diesem Artikel wird ein Blick auf die kurzlebige Republik Mahabad geworfen. Doch beginnen wir mit einem Schlaglicht auf das zahlenmäßig größte Volk der Welt, das ohne eigenen Staat auskommen muss.

Seit ihrer Gründung hat sich die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) stets mit der ungelösten kurdischen Frage befasst – das aktuelle politische Geschehen hat ihr dazu immer wieder Anlässe geliefert, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des kurdischen Volkes ziehen.

Zitieren wir den ehemaligen Bundesvorsitzenden der GfbV, Feryad Fazil Omar, der im Vorwort zur Ausgabe der GfbV-Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“ unter dem Titel „Kurdistan brennt“ einleitend schrieb:

Als 1694 der Gelehrte und Dichter Ehmedê Xanî mit der tragischen Liebesgeschichte von Mem und Zîn eines der ersten schriftlich überlieferten großen Epen in kurdischer Sprache schrieb, hat er darin schon dieses Schicksal des kurdischen Volkes beklagt:

 

Wenn doch dereinst einmal geneigt uns wär‘ das Glück‘,
Und einmal wir nur würden aus dem Schlaf erwachen!

Erhöb‘ auch uns sich ein Beschützer in der Welt,
Wenn doch einmal ein König auch für uns erschiene!

Dann würd‘ sich allen zeigen uns’rer Künste Schwert,
Und uns’rer Feder Wert würd‘ aller Welt sich kundtun.[1]

 

In den mehr als 300 Jahren, die seither vergangen sind, hat sich daran im Grunde nichts geändert, auch daran nicht, dass die Kurden zwar in aller Welt als tapfere Kämpfer gesehen werden, nicht aber als ein Volk mit Kunst und Literatur wie ihre Nachbarn auch.

Als Xanî diese Verse schrieb, war Kurdistan gerade zwischen dem Osmanischen und dem Safawidischen Reich in zwei Teile aufgeteilt worden. Während andere Länder nach dem Ersten Weltkrieg vereint wurden und Eigenstaatlichkeit erlangten, wurde die Teilung Kurdistans nur noch mehr vertieft.

Es wurde jetzt in vier Teile aufgeteilt, die in den Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien lagen. Die Folgen dieser zweiten großen Aufteilung Kurdistans wirken brutal bis heute fort: In diesen vier Regionen wird das Geschehen von unterschiedlichen politischen Parteien bestimmt, die sich an den Auseinandersetzungen in dem jeweiligen Staat ausrichten und nicht an der Entstehung eines eigenen Staates aller Kurden im Nahen Osten. Realpolitisch mag diese Ausrichtung nachvollziehbar sein, da weder die innere Konstellation der Staaten, in denen die Kurden leben, einen einheitlichen kurdischen Nationalstaat tolerieren würde, noch die internationale Staatengemeinschaft bis heute bereit wäre, seine Herstellung auf die Tagesordnung zu setzen.“

Das zwanzigste Jahrhundert war von zahlreichen kurdischen Aufständen geprägt. In mehreren von ihnen gelang es, für unterschiedlich lange Zeit selbstverwaltete kurdische Gebiete zu schaffen. Drei dieser kurdischen Regierungen gab es in Irakisch-Kurdistan: die kurdische Regierung unter der Führung von Scheich Mahmud in Suleymaniyeh in den 1920er Jahren, die Periode der kurdischen Autonomie von 1970 bis 1975 unter der Führung von Mustafa Barzani und die Periode der Autonomie, die 1991 begann und bis heute andauert und von der Demokratischen Partei Kurdistans im Irak (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) geführt wird. 2017 versuchte Irakisch-Kurdistan mit einem nicht-bindenden Referendum den Weg zur Selbstbestimmung zu ebnen. Mehr als 92 % waren dafür. Doch der Wille der Bevölkerung scheiterte – mal wieder – am Unwillen der Weltgemeinschaft.

Nationalstaaten – Dynamik der Identitätsfrage

Bis zum Ersten Weltkrieg waren kulturelle und religiöse Aspekte dominierende Fragen des gesellschaftlichen und politischen Lebens der Kurden, und die nationalen Zugehörigkeiten stellten in den meisten Fällen kein unüberwindbares Hindernis im Zusammenleben mit den benachbarten Völkern in der Region dar. Am Ende des Ersten Weltkriegs jedoch, als im Nahen Osten Nationalstaaten entstanden, wandelte sich dies drastisch zu einer Frage politischer Differenzen zwischen Kurden und ihren Nachbarn.

Die Republik Kurdistan, die vor 75 Jahren im Staatsgebiet des heutigen Irans ausgerufen wurde – kann in diesem Kontext nicht als das Produkt eines länderübergreifenden kurdischen Nationalbegehrens gesehen werden, wenngleich es ohne die Unterstützung aus dem heutigen Irakisch-Kurdistan keine Republik gegeben hätte.

Die Sowjets beförderten ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele, indem sie verschiedene Völker und Volksgruppen im Kampf gegen die jeweiligen Zentralregierung unterstützten. Das Konzept des Selbstbestimmungsrechts der Völker wurde zur Richtschnur der sowjetischen Außenpolitik und führte dazu, dass viele Bewohner der Region dem Leitspruch „Freiheit für die Kurden und die Aseris (Aserbaidschaner) von der Unterdrückung durch die Perser“ begeisterten entgegennahmen.

Die Ankunft der Weltmächte im Iran im August 1941 wurde daher von vielen iranischen Kurden als Chance gesehen, ein gewisses Maß an Autonomie zu erlangen.

Die Hals über Kopf ausgerufene Republik brachte keine Verwaltungserfahrung mit, die Politiker waren unerfahren und diplomatische Verbindungen so gut wie nicht vorhanden. Ohne funktionierende Infrastruktur setze sie sich darüber hinaus aus einer Gesellschaft zusammen, die noch weitgehend durch Stammeszugehörigkeit, Verwandtschaft, Familienbande und religiöse Gemeinsamkeiten determiniert war. Wenig Nährboden für republikanische Unternehmungen.

Trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens hat die „Republik Kurdistan“ beachtliche Erfolge erzielt, insbesondere in den Bereichen Medien, Kultur und Bildung. In dieser Zeit blühten Publikationen, Presse und Rundfunk auf, was der kurdischen Sprache spürbar zugutekam und die nachfolgenden Generationen sowie andere kurdische Bewegungen in der Region stark beeinflusste.

Als am 26. März 1946 die Sowjets der iranischen Regierung auf Druck der westlichen Mächte den Rückzug aus dem Nordwesten des Irans zusagten, waren die Stunden der Republik Mahabad gezählt.

Qazi Muhammads innerkurdische Rückhalt schwand.  Am 15. Dezember 1946 marschierten iranische Truppen in Mahabad ein. Dort schlossen sie die kurdische Druckerei, verboten den Unterricht in der kurdischen Sprache und verbrannten alle kurdischen Bücher, denen sie habhaft werden konnten. Schließlich wurde Qazi Muhammad am 31. März 1947 wegen Hochverrats gehängt.

Mustafa Barzani hatte mit seinen Kämpfern aus Irakisch-Kurdistan einen wesentlichen Teil der Streitkräfte der Republik gebildet. Die meisten Soldaten und vier Offiziere der irakischen Armee, kehrten in den Irak zurück. Die Offiziere wurden zum Tode verurteilt und heute gemeinsam mit Qazi als kurdische Helden verehrt.

Mehrere hundert Soldaten entschieden sich nicht zurückzukehren und blieben bei Barzani. In einem fünfwöchigen Marsch wehrten sie alle Versuche der iranischen Armee, sie abzufangen, ab und gelangten schlussendlich in die Sowjetrepublik Aserbaidschan. Ein „Exodus“ der stark zur Schaffung des „Barazani-Mythos“ in Kurdistan beigetragen hat. Das ist aber wiederum eine andere Geschichte.

Quellen:

 Nerwiy, H.K.T. (2012): The Republic of Kurdistan, 1946 (Doktorarbeit)

bedrohte Völker – pogrom (Nr. 291) – Kurdistan brennt!

Wikipedia (englisch)- Zur Republik Mahabad

Wikipedia (deutsch) – Zum Unabhängigkeitsreferendum 2017

(1) Übersetzung nach Feryad Omar, Mem u Zin: Ein klassisches kurdisches Epos aus dem 17. Jahrhundert. Institut für Kurdische Studien, ISBN: 978-3-932574-16-0, Verse 195 ff.

 

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