04-01-2024
Wem gehört Esequibo?
Nicht dem links-autoritären Venezuela, sondern neun indigenen Völkern
Von Wolfgang Mayr
Der venezuelanische Präsident Maduro fragte sein Volk, ob die Region Esequibo in Guyana von Venezuela annektiert werden sollte. Das Volk soll bei einem Referendum mit großer Mehrheit der Annexion zugestimmt haben. Die internationale Linke applaudierte dieser doch feindlichen Übernahme – weil angeblich demokratisch legitimiert und antikolonialistisch – fremden Landes zu. Mit der Annexion werde geschichtliche Gerechtigkeit hergestellt, argumentieren die Freunde Venezuela, die Antiimperialisten im Westen sowie die sogenannten antikolonialistischen Mächte Russland und China. Der europäische Kolonialismus habe nämlich die legitime venezuelanische Inbesitznahme von Esequibo unterbunden.
Ob die ungefragte Bevölkerung von Esequibo an Venezuela zwangsangeschlossen werden möchte? Der angeblich linke autoritäre Staat setzt sich über indigene Belange hinwegsetzt. Trotz ihrer Erwähnung in der neuen revolutionären Verfassung Venezuelas spielen die indigenen Völker keine Rolle im autoritären Staat, der auch die indigene Autonomie konsequent unterbindet. Venezuela verhält sich seinen indigenen Völkern gegenüber genauso rücksichtslos wie die übrigen – besonders die rechten – lateinamerikanischen Staaten. Genauso wenig ist von der venezuelanischen Anti-Maduro-Opposition zu erwarten.
Linke Staaten sind keine Gewähr für eine pro-indigenistische Politik. So führte das sandinistische Nicaragua einen rücksichtslosen Krieg gegen die indigenen Völker an der Atlantik-Küste, gegen die Miskito, Sumo und Rama. Neben ihren eigenen Sprachen verwenden die Angehörigen dieser Völker auch die englische Sprache. Wie die Indigenen von Esequibo auch. Die Miskito forderten nach der sandinistischen Revolution die Wiederherstellung ihrer regionalen Autonomie. Eine Autonomie, die im – auch militärischen – Widerstand gegen die Revolutionsregierung entstand.
Venezuela hat es auf die großen Rohstoffvorkommen in Esequibo abgesehen. Maduro, der sein Land heruntergewirtschaftet hat, braucht Geld und pflegt deshalb einen unsäglichen linken Nationalismus. Einen anti-amerikanischen Nationalismus, der auch in einen Krieg münden könnte, gegen Guyana und seine Verbündeten USA und Großbritannien. Darüber würden sich wohl die Paten Maduros freuen, Russland und China.
Referendum in Esequibo
Antikolonialistisch wäre wohl ein Referendum unter der Bevölkerung von Esequibo, ob sie von Venezuela tatsächlich einverleibt werden möchte. Ein Referendum unter der Aufsicht der Organisation der amerikanischen Staaten, der UNO, des UN working groups for indigenous peoples, des International Indian Treaty Councils, der Coica sowie der Esequibo-Gemeinden. Seit einigen Jahren tritt die indigene Bewegung selbstbewusster auf. Dazu zählen die Toshaos, die Bürgermeister der Dörfer und ihre Konferenz, die Amerindian Peoples‘ Association of Guyana (APA),
Wie in Venezuela sind auch die neun indigenen Völker Guyanas eine Minderheitenbevölkerung. Sie stellen zehn Prozent der 800.000 Einwohner, die großteils indischer und afrikanischer Abstammung sind. Die Arawaks, die Wai Wai, die Caribs, die Akawaio, die Arecuna, die Patamona, die Wapixana, die Macushi und die Warao bilden die indigenen Völker mit eigenen Sprachen wie dem Cariban, dem Macushi, Akawaio und dem Wai-Wai sowie den Arawakanischen Sprachen, dem Arawak (oder Lokono) und dem Wapishana. Sie leben in der Esequibo-Region sowie dies- und jenseits der guyanisch-venezuelanischen Grenze. Ihnen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, auch kollektive Landrechte durchzusetzen.
Der autoritäre Maduro schert sich wenig darum, dass das von ihm begehrte Esequibo indigenen Völkern gehört. Der „globale Süden“, der zurecht ein Ende des euro-amerikanischen Kolonialismus fordert, kolonialisiert seinerseits ungeniert die eigene „Vierte Welt“, indigene Leute und indigenes Land.
Freistaat Esquibo
Das diverse Guyana verhält sich gegenüber den indigenen Völkern teilweise korrekter als sein großer aggressiver venezuelanischer Nachbar. So wurde 1957 der Arawak Stephen Campbell in den damaligen Legislativrat von British-Guyana gewählt, nach der staatlichen Unabhängigkeit wurde Campbell Unterstaatssekretär. Campbell gilt unter der indigenen Bevölkerung als „Held“, Jahre später legte die Regierung den Monat September als den Monat des indigenen Erbes fest. In Erinnerung an Campbell heißt eines der größeren Zentren im Patamona-Territorium Campbell-Town.
Vier weitere indigene Persönlichkeiten belegen die öffentliche indigene Präsenz in Guyana, Sydney Allicock, ehemaliger Vizepräsident von Guyana, Valerie Hart, Präsidentin des Esequibo-Freistaates, die sich als Venezuelanerin definiert hatte, Jean La Rose, Arawak , Umweltschützerin und Aktivistin für Rechte indigener Völker und George Simon, Künstler und Archäologe. Trotz ihrer gesellschaftlichen Verankerung müssen sich auch in Guyana die indigenen Völker wehren, gegen die Erdölförderung, genauso gegen Staudamm-Projekte.
Nicht Venezuela soll über die Zukunft von Esequibo entscheiden, sondern die Bevölkerung dieser so begehrten Region. Warum soll nicht aus dieser Indigenen-Region ein Freistaat werden, wie ihn Valerie Hart angestrebt hatte? 1969 rebellierten die indigenen Bauern gegen die guyanischen Behörden, sie besetzten Ämter und Flugplätze und riefen den Freistaat Esequibo aus, mit Hart als Präsidentin. Sie bat, hier die Verbindung zu Venezuela, Caracas um Schutz gegen den guyanischen Staat, der den Aufstand niederschlug. Mehr als 100 Menschen starben, viele Angehörige verschiedener indigener Bevölkerungsgruppen flohen nach Brasilien und Venezuela. Freistaat Esequibo statt Annexion an Venezuela.
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