Unaufhaltsame Sprach-Erosion – in Katalonien dominiert das Kastilische, die spanische Staatssprache

Von Wolfgang Mayr

Der Blog Brennerbasisdemokratie untersuchte den Sprachgebrauch in den beiden autonomen Regionen Südtirol in Italien und Katalonien in Spanien. Fazit: Trotz Autonomie brechen die Minderheitensprachen ein. Voices fasst in dieser Folge die Thesen Hans-Ingo Radatz zusammen.

Katalanisch verdrängt Kastilisch?

Vor und während des illegal erklärten Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien beklagten gesamtstaatliche Parteien die Verdrängung der Staatssprache. Die national-konservative Volkspartei PP, die nationalliberalen Ciudadanos und Teile der Sozialdemokraten der Psoe warfen den katalanischen Regionalregierungen vor, die kastilische Sprache aus der Öffentlichkeit verdrängen zu wollen. Zugunsten der katalanischen Regionalsprache. »Dem widerspricht der Bamberger Romanistik-Professor Hans-Ingo Radatz laut dem Blog Brennerbasisdemokratie:

„Diese Kritik bleibt allerdings ahistorisch am gegenwärtigen Einzelfall hängen, in dem eine einzelne kleine Sprache sich gegen eine übermächtige Staatssprache zu behaupten sucht. Ein solcher Kampf ist demnach eine anachronistische Eulenspiegelei.“

Professor Radatz benennt die Doppelmoral in dieser Diskussion: „Hat ein solcher Kampf allerdings erst einmal zum Erfolg geführt, verschwindet der betreffende Fall sofort spurlos aus diesem kritischen Diskurs: Dass das einst schwedische Helsingfors heute Helsinki heißt und Finnisch spricht, ist in diesem Kontext nämlich nie Thema. Ebensowenig wie der Sprachwandel Revals (Tallinn) zum Estnischen oder der von Wilna vom Polnischen zum Litauischen (Vilnius). Der eigene Nationalstaat heilt alle Sünden der Vergangenheit!“

Die Schwächung von Sprachen, der Absterben macht Professor Radatz am Beispiel der baskischen, galicischen und katalanischen Sprache fest. Sie ist Folge und Ergebnis überkommener spanischer Sprachenpolitik, die die Regionalsprachen zwar heute nicht mehr aktiv unterdrückt, wohl aber noch asymmetrisch behandelt,“ zitiert „Brennerbasisdemokratie“ Professor Radatz. Asymmetrisch heißt? Die Erklärung von Hans-Ingo Radatz vom Institut für Romanistik der Universität Bamberg: „Alle Bürger der Region dürfen die Regionalsprache verwenden; als Bürger Spaniens aber müssen sie zugleich die spanische Sprache beherrschen. Faktisch bedeutet das nicht nur für den Amtsverkehr: Ein einziger monolingualer Spanier kann damit regelmäßig alle anderen Anwesenden zum Sprachwechsel veranlassen.“

Im Alltag bedeutet dies laut Radatz, „dass ein Leben auf Katalanisch ein ständiger Kampf ist.“ Radatz zitiert als Beispiel eine Kassiererin im Supermarkt, die ihren Kunden versteht, wenn er auf Katalanisch eine Plastiktüte verlangt. Ihre Reaktion: „“Sprechen Sie Spanisch, ich verstehe Sie nicht!” Die meisten einsprachigen Zuwanderer haben nicht das Gefühl, dass ihnen ohne die Landessprache etwas fehlte. Im Gegenteil: Die Haltung ist, dass wir hier schließlich in Spanien sind und niemand mit einer “fremden” Sprache belästigt werden sollte. Also wechselt der Kunde im Supermarkt ins Spanische, weil alle Katalanischsprecher (oft zu ihrem Nachteil) perfekt zweisprachig sind… Jeder Katalanischsprecher kennt diese Situationen bis zum Überdruss. Das Nicht-Beherrschen der Landessprache beschämt die Einsprachigen normalerweise nicht etwa; man hört immer wieder “Wie bitte!?”, “Auf Spanisch, wir sind hier in Spanien!”

Die Alltagskämpfe, egal wo, enden fast immer zugunsten der monolingualen Spanischsprecher, stellt Romanistik-Professor Radatz fest. Denn, führt Radatz aus, „der Sozialdruck der Umstehenden drängt stets, sich nicht so anzustellen.“ Begründung, es können schließlich doch alle spanisch. Die Auswirkungen sind hörbar, beschreibt Professor Radatz von der Universität Bamberg: „In großen historisch katalanischsprachigen Städten wie Valencia oder Palma hört man die Sprache immer weniger und auf den Schulhöfen passen sich die bilingualen katalanischsprachigen Kinder wie selbstverständlich ihren monolingualen spanischsprachigen Schulkameraden an; selbst in Barcelona kann zwar jeder katalanisch, aber tatsächlich gesprochen wird es gerade noch von einem Drittel der Bevölkerung.“

Es ist nicht pragmatisch, bedauert Hans-Ingo Radatz – wenn viele annehmen – besonders über Katalonien berichtende JournalistInnen – , dass die Sprache der spanischen Nation automatisch wichtiger ist als das Katalanische, dem es ansonsten an nichts als nur an dieser Würde mangelt: eine Staatssprache zu sein“. Radatz benennt die Annahme und zwar als nationalistisch.

Radatz spöttelt, der banale Nationalismus der etablierten Nationalstaaten wird unproblematisch empfunden. Denn: „Spanisch ist eben eine echte, vollwertige Sprache (mit “Armee und Flotte”, wie es der Jiddisch-Sprachforscher Max Weinreich einmal formuliert haben soll), das Katalanische dagegen irgendein Folkloreprodukt, ein Dialekt, eine Halbsprache.“

Hans-Ingo Radatz ist Professor am Institut für Romanistik der Universität Bamberg

 

Wichtigste Sprache: Italienisch. – BBD (brennerbasisdemokratie.eu)

Territoriale Identität schwächelt. – BBD (brennerbasisdemokratie.eu)

Banaler Nationalismus. – BBD (brennerbasisdemokratie.eu)

Banaler Nationalismus in Katalonien. Und Südtirol. – BBD (brennerbasisdemokratie.eu)

BBD-Manifest. – BBD (brennerbasisdemokratie.eu)

 

 

 

 

 

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