Zum Tode von Doghan Akhanli

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Von Wolfgang Mayr

„Der Tod von Dogan Akhanli macht uns sehr traurig. Immer wieder besuchte er uns in Göttingen und schrieb häufig für unsere Zeitschrift.  Politisch setzte er sich für Menschen- und Minderheitenrechte in der Türkei ein. Er wird uns sehr fehlen“, bedauert Kamal Sido, Nahostreferent der GfbV.

Der 1957 in der Türkei geborenen Akhanli schrieb Romane und verfasste ein Theaterstück. 1991 kam er als politischer Flüchtling nach Deutschland und lebte seit 1992 in Köln. „Sein Kernthema war die Auseinandersetzung mit den Genoziden des 20. Jahrhunderts. Aufgrund seiner politischen Haltung war er mehrfach in der Türkei inhaftiert,“ erinnerte Kamal Sido.

Der türkische Staat, egal ob rechts, links oder islamistisch reagiert, reagierte und reagiert harsch, empfindlich und beleidigt auf den dokumentierten Vorwurf des türkischen Völkermordes an den Armeniern. In einem Interview mit der ehemaligen Zeitschrift „pogrom-bedrohte Völker“ erklärte Akhanli die türkische Haltung: „Die Gründer der türkischen Republik sind die Helden in der türkischen Geschichte. Nur waren diese Helden die Mörder, die die Armenier vertrieben und vernichtet haben. Dieser Widerspruch ist eine der Hauptursachen, warum es sich die Türkei so schwer macht, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Dazu kommt, dass mit dem Gründungsmythos die staatstragende Ideologie von einem Land, einer Sprache und einer Nation aufkam. Minderheiten passen in dieses Konzept nicht hinein.“

Akhanli, literarischer Nestbeschmutzer?

Seine schriftstellerische Tätigkeit und sein Menschenrechtsengagement nervte die Türkei, besonders das Machtkartelle aus Armee, Sicherheitskräften, Religionsführer und der islamistischen Erdogan-Partei AKP. Immer wieder wurde Akhanli auf türkischem Betreiben hin verhaftet, zuletzt 2017 in Spanien aufgrund eines türkischen Haftbefehls. Darüber schrieb er das Buch „Verhaftung in Granada“. Sieben Jahr zuvor, 2010, ließ die türkische Justiz den Schriftsteller verhaften, weil er den Völkermord an den Armeniern literarisch aufarbeitete. Eine politisch motivierte Verhaftung. Akhanli erklärte dazu in der Zeitschrift „pogrom-bedrohte Völker“: „Entweder man wird gerichtlich verfolgt, wie zum Beispiel Elif Shafak, die den Völkermord an den Armeniern in ihrem Buch „Der Bastard von Istanbul“ thematisiert hat. Sie ist eine Bestseller-Autorin und wäre trotzdem fast im Gefängnis gelandet. Mein Buch wurde hingegen ignoriert. Nach meiner Festnahme 2010 wurde das Buch dann in der Türkei bekannter.“

Während die Türkei den Schriftsteller verfolgen ließ, gab es für ihn in Deutschland Preise.Die Romane „Die Tage ohne Vater“ (2016) und „Madonnas letzter Traum“ (2005) zählen zu seinen bedeutendsten Veröffentlichungen. 2013 erhielt Akhanli den Pfarrer-Georg-Fritze Preis in Köln und 2018 den Europäischen Toleranzpreis in Österreich. Zuletzt wurde er 2019 mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Seine Beschäftigung mit dem Völkermord an den Armeniern erklärte Akhanli im Interview mit Michaela Böttcher in der Zeitschrift „pogrom-bedrohte Völker“:

„Ich denke, die Hauptmotive waren, dass ich Menschenrechtler bin und dass ich mich mit dem Genozid an den Armeniern beschäftigt habe. Ich wurde als Kopf einer terroristischen Organisation angeklagt. Aber nicht mal das Innenministerium kennt diese Organisation. Sie existiert nicht. Ich habe nicht geschwiegen und das hat den türkischen Staat geärgert. Die Anklage ist zwar gescheitert, aber sie wollten mich damit unter Druck setzen. Das klappt natürlich nicht, weil ich mich in einem freien Raum – in Deutschland – befinde. Warum sollte ich also mitspielen oder schweigen?“

Diese Haltung brachte den türkischen Staat gegen Akhanli auf. Er kuschte nicht, trotz der immer wieder versuchten und dann und wann gelungenen Repressalien. Akhanli begründete sein Interesse an der armenischen Geschichte mit seiner Biografie und seiner eigenen Gewalterfahrung. Er wurde in der Türkei verfolgt und gefoltert. Nach seiner Flucht aus der Türkei nach Deutschland beschäftigte er sich mit der „historischen Gewalt meines Herkunftslandes.“ Nicht nur er und die linken Bewegungen wurden in den 1980er Jahren verfolgt.

Vielfältige Gewalt und Genozid

„Die Aleviten wurden massakriert, die nicht-muslimischen Minderheiten wurden massakriert. Am Ende habe ich auch die Geschichte der Armenier herausgefunden. Bei meinen Recherchen habe ich Zeitzeugenberichte gelesen und festgestellt, dass es Gewaltausschreitungen in unterschiedlichen Orten gab.  Das zeigte, dass es zentral organisiert war. Nach der Lemkin-Definition ist das ein Genozid. Der Unterschied zwischen meiner Gewalterfahrung und der Gewalterfahrung der Armenier ist die Willkür und die ultimative Vernichtung. Sie haben mich während der Militärdiktatur festgenommen und gefoltert, sie haben meine Familie unter Druck gesetzt. Aber sie haben uns nicht vernichtet. Ich hatte die Chance zu überleben. Die Armenier hatten das nicht. Es war egal, ob sie ein neugeborenes Baby oder eine alte Frau waren. Es war egal, was sie gemacht oder nicht gemacht haben. Sie waren kollektiv zum Tode verurteilt. Und deswegen habe ich in meinem Buch „Die Richter des Jüngsten Gerichts“ den Völkermord thematisiert“, erzählte Akhanli in der Zeitschrift „pogrom-bedrohte Völker“.

Als einen Hoffnungsschimmer lobte Akhanli die Massenbewegung nach der Ermordung von Hrant Dink 2007. Die jungen Leute protestierten gegen die Ermordung des Journalisten und gedachte der Genozidopfer. In diesem Zusammenhang sind auch die Proteste 2013 gegen die Verbauung des Gezi-Parks in Istanbul zu sehen, der ein Erinnerungsort ist. In dem Park war ein armenischer Friedhof und dort wurde das erste Genozid-Mahnmal 1919 unter der Besatzung der Engländer  errichtet.

„Das finde ich symbolisch ganz wichtig, wie dieser Ort beide Bewegungen – also die für Erinnerung und Aufarbeitung und die für Demokratisierung – zusammengebracht hat. Die Armenier brauchen Gerechtigkeit und die Zivilbevölkerung braucht Demokratie und Menschenrechte,“ für Akhanli ein Hoffnungsschimmer.

Lange Zeit weggeschaut

Akhanli warf Deutschland vor, den Genozid an den Armeniern lange nicht wahrnehmen genommen zu haben, weil fremde Geschichte. Dabei war das deutsche Kaiserreich im Ersten Weltkrieg in den Völkermord der Jungtürken um Atatürk an den Armeniern verwickelt.

„Er ist aber keine fremde Geschichte, sondern Teil der deutschen Geschichte“, erinnerte Akhanli auch an diese verdrängte deutsche Vergangenheit. Als peinlich bezeichnete der Schriftsteller die deutsche Haltung, diesen Völkermord nicht Genozid nennen zu wollen: „Das Argument dazu war banal. Da der Genozid an den Armeniern vor der Genozid-Konvention passierte, könne er so nicht genannt werden. Das ist eine absurde und enttäuschende Antwort der deutschen Regierung. Und es ist gefährlich und opportunistisch.“

Akhanli warb für eine erweiterte Holocaust-Erziehung, für eine Einbeziehung der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. „Türkische Kinder in Deutschland können so lernen, dass Genozid und diese Willkür der Macht nicht direkt etwas mit der deutschen oder auch der türkischen Nationalität zu tun hat,“ begründete Akhanli seinen Vorstoß, „Wenn man bei der Vermittlung anderen genozidalen Gewalttaten einen Raum gibt, lernen die Jugendlichen und Kinder vielleicht, dass diese Gewalt mit Menschen zu tun“.

Luftschloss Demokratie plus Menschenrechte

In dem Interview mit „progrom-bedrohte Völker“ entwarf Akhanli eine Vision: „Man muss in der Türkei die Rechte der Minderheiten gesetzlich sichern. Und der Genozid an den Armenier muss endlich aufgearbeitet werden. Ohne die Aufarbeitung der Geschichte und des Genozids können sich die Minderheiten in der Türkei niemals sicher fühlen. Hier in Deutschland gibt es so viele Bemühungen, die eigene Geschichte zu vermitteln, und trotzdem gibt es Gruppen von Neonazis, die willkürlich Menschen, die als Einwanderer ins Land gekommen sind, töten. Aber es ist keine politische Sache, die vom Staat ausgeht, sondern eine kriminelle Handlung einzelner Täter. In der Türkei ist es umgekehrt. Der Staat ist selber kriminell. Das ist deutlich geworden 2007, beim Mord am armenischen Journalisten Hrant Dink. Da hat sich gezeigt, wie der Staat beteiligt ist.“

Das ausführliche Interview mit Dogan Akhanli kann hier nachgelesen werden.

DOĞAN AKHANLI | schriftsteller | yazar | writer (dogan-akhanli.de)

Künstlerportrait mit dem Schriftsteller Dogan Akhanli – YouTube

Dogan Akhanli: Der Weg des Widerstands (nd aktuell) (nd-aktuell.de)

«Die Verfolgung hat mein Wort grösser gemacht» – der türkische Autor Dogan Akhanli zieht Bilanz | NZZ

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Trauer um Schriftsteller: Dogan Akhanli gestorben – Bing video

Dogan Akhanli über den Genozid an den Armeniern und Sarkis Hatspanian – YouTube

Der Völkermord an den Armeniern und die deutsche Öffentlichkeit – Bing video

3sat | Völkermord an den Armeniern? Gespräch mit Götz Aly – Bing video

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