Zeiten der Auflehnung

Der Schweizer Historiker Aram Mattioli befasst sich mit der Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA

Von Wolfgang Mayr

Aram Mattioli ist ein ausgewiesener Spezialist für den italienischen Faschismus, für den faschistischen Eroberungskrieg gegen das Königreiche Abessinien in den 1930er Jahren und für den faschistischen Städtebau. 

Schonungslos analysierte Mattioli den gezielten flächendeckenden Giftgaseinsatz des faschistischen Italiens gegen das widerständige Abessinien. Diesen ersten faschistischen Vernichtungskrieg nennt Mattioli das „Experimentierfeld der Gewalt“, das Modell für den Eroberungskrieg des Dritten Reichs im östlichen Europa.

Mattioli setzte sich auch mit den rechten Strömungen in der Schweiz während der Zwischenkriegszeit auseinander und mit der besonderen schweizerischen Spielart des katholischen Antisemitismus.

Inzwischen zählt Nordamerika zu den Forschungsschwerpunkten von Aram Mattioli. Genauer das Amerika der Ureinwohner, der Indianer, der Indigenen, der native americans, der american indians, der first nations, der first peoples. Ausführlich beschäftigte er sich mit den „Verlorenen Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas“ zwischen 1700 und 1910. Ein literarisches Denkmal für die Opfer und Überlebenden der europäischen Invasion und Eroberung Nordamerikas.

Die Überlebenden haben es Mattioli in seinem neuen Buch angetan, „Zeiten der Auflehnung – eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA“. Laut dem Klett-Cotta-Verlag schildert Mattioli zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples im 20. Jahrhundert. Keine schlechte Werbung, aber bereits in den 1970er Jahren erschien das Buch von Claus Biegert über den indianischen Widerstand zwischen der Ost- und Westküste, „Seit 200 Jahren ohne Verfassung“.

Wie Biegert zeichnet Mattioli ein vielfältiges Bild des „indian country“, seiner Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht nur passive Opfer waren. Der Historiker schildert eindrücklich, wie sich die Nachfahren der Ersten Amerikaner dem vermeintlich übermächtigen Staat friedlich und militant widersetzten.

Aram Mattioli nennt die indianischen Völker der USA First Peoples, die nach der militärischen und wirtschaftlichen Eroberung des US-Westens in die weit abgelegenen, manchmal auch recht unwirtlichen Reservate abgedrängt wurden (inzwischen begehrte Objekte der Rohstoff-Begierden der US-Konzerne). Der Tiefpunkt ihrer Geschichte, die Ära der kulturellen Enteignung, der Zwangsassimilierung durch weiße Kirchen und Schulen, der totalen staatlichen Bevormundung durch die verschiedenen US-Behörden.

Den Geschlagenen und Abgedrängten gelang vor 100 Jahren trotzdem eine kulturelle Renaissance, eine Auferstehung, die seit heute anhält. Die Besiegten und Gedemütigten nahmen das Schicksal in die eigenen Hände. 

In der Zeit des Ersten Weltkriegs fanden sich die ersten Aktivisten zusammen, die die frühe Selbstbestimmungsbewegung formierten. Ein halbes Jahrhundert später wurde daraus die spektakuläre Red Power-Bewegung.

Aram Mattioli nennt die indigene Widerstandsbewegung eine faszinierende Geschichte indigener Selbstermächtigung, der es auch immer wieder gelang, den Widerstand der Vergessenheit zu entreißen.

In der gängigen mainstream-Darstellung der US-Geschichte fehlen die indigenen Kapitel, also die völkermordende Eroberung und die folgende menschenverachtende Assimilierung (rühmliche Ausnahme ist Lill Lepore mit „Diese Wahrheiten“). Mattioli leuchtet Winkel des US-Geschichte aus, auf die kaum Licht fällt.

Er erzählt das hochdramatische Kapitel des indigenen Widerstandes, seine Chronik unterstreicht, dass die First Peoples auch in der Reservationszeit nie nur willenlose Opfer waren. Es wehrten sich die sogenannten Traditionalisten auf den Reservaten, in dem sie sich verweigerten, friedlich, zurückgezogen. In den indianischen Ghettos der Metropolen entstand die radikalere Red Power-Bewegung, Alcatraz, die Besetzung des BIA in Washington, die Besetzung von Wounded Knee, der Kampf auf den Reservaten gegen die ökologische Verwüstung durch die Bergbaugesellschaften.

Die ersten Leserinnen und Leser-Reaktionen sind zustimmend und begeistert. Bedauert wird aber auch, dass die Chronik des indigenen Widerstandes in den USA 1992 endet.

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