Victor Orbán: Eine Bedrohung für die Minderheiten in Europa

Die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten sollte bei ihrem Kongress in Berlin Stellung zu Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán nehmen, findet Jan Diedrichsen. In seiner Kolumne nennt er Gründe dafür.

Erschienen als Kolumne VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT im „Der Nordschleswiger“ 

Von Jan Diedrichsen

Der russische Angriffskrieg bedroht die Existenz der Ukraine. Mittendrin die Minderheiten des Landes. Ich habe wiederholt berichtet: über Roma, Griechen, Deutsche, Ungarn – sie alle leiden unter den russischen Gräueltaten, wie alle Ukrainerinnen und Ukrainer.

Die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) hat auf diese Katastrophe reagiert und zu einer Spendenaktion für die Minderheiten des Landes aufgerufen. Nur wer die Situation in der Ukraine in diesen schicksalsträchtigen Tagen begleitet, hat die notwendige Glaubwürdigkeit, um anderenorts Minderheitenrechte einzufordern. Die FUEN hat dies getan.

Der nächste FUEN-Kongress findet im Herbst in Berlin statt. Ein einzigartiges Forum in Europa. Über 100 Minderheitenorganisationen sind in der FUEN vereint. Der Kongress findet in diesem Jahr wieder in Präsenz statt. Es gibt vieles zu besprechen. Konflikte und Probleme prägen die Minderheitensituation in Europa. Vieles geht medial und politisch im Schatten des Krieges unter. Vom Kongress in Berlin sollte daher ein deutliches politisches Signal ausgehen, das auf die bedrohliche Minderheitenlage in Europa aufmerksam macht.

Einige Beispiele: Im Balkan bereiten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Serbien und Kosovo Sorgen. In Bosnien-Herzegowina stehen die Zeichen auf Sturm. Bulgarien benimmt sich wie eine Kolonialmacht, die den Mazedoniern erklärt, sie seien gar keine eigene Nation, sondern nur Bulgaren mit einem Dialekt. Auch die Türkei darf man nicht aus den Augen verlieren, die sich unter Erdogan immer weiter radikalisiert. Die Behandlung der deutschen Minderheit in Polen ist eine Schande und gefährdet Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte. Im Westen Europas gibt es in der Frage nach Autonomie und Selbstbestimmung – etwa in Schottland und Katalonien – weiterhin keine Positionierung der Europäischen Union. Ganz zu schweigen von dem Sprachensterben der Regional- und Minderheitensprachen unseres Kontinentes. In Brüssel verfährt man nach der Vogel-Strauß-Politik: wegducken und hoffen, dass die Probleme davonziehen.

Die FUEN ist die Anwältin der Minderheiten Europas. Eine Nichtregierungsorganisation, unabhängig sowohl parteipolitisch als auch von der Einflussnahme einzelner Staaten. Nichts schadet den Minderheiten so sehr wie parteipolitische Vereinnahmung oder staatliche Instrumentalisierung.

Die FUEN wird seit geraumer Zeit finanziell durch Ungarn unterstützt. Auch in der Frage der Europäischen Bürgerinitiative der Minderheiten (MSPI), die von der FUEN federführend begleitet wird, hat sich Ungarn an der Seite der Dachorganisation positioniert. Die MSPI ist eine einzigartige Möglichkeit, um auf europäischer Ebene dem Minderheitenschutz zu besserer Geltung zu verhelfen. Die Europäische Kommission muss weiter juristisch unter Druck gesetzt werden. Dabei sind Ungarn und vor allem der ungarische Regierungschef Victor Orbán zu einem Problem für die Minderheiten in Europa und für die FUEN geworden. Diese Probleme müssen offen angesprochen werden, denn hinter vorgehaltener Hand, auch in politischen Kreisen, spielen diese schon länger eine Rolle.

Victor Orbán ist untragbar. Er generiert sich als Beschützer der autochthonen Minderheiten, spielt dabei die nationalistische und rassistische Karte. Dass er auch mit den Kriegsverbrechern im Kreml paktiert, ist in diesen Tagen nur noch niederträchtig. Die Beispiele seiner Entgleisungen sind berüchtigt. Das Europäische Parlament hat den National-Populisten aus Budapest unlängst in einer Resolution verurteilt. Anlässlich des jährlichen Sommertreffens seiner rechtspopulistischen Fidesz-Partei bei der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen/Rumänien hatte Orbán endgültig den Rubikon der Demokraten überschritten: Eine „gemischtrassige Welt“ hervorgebracht durch die vielen Zuwanderer lehne er ab.

Einige Tage später trat Orbán als „Einheizer“ von Donald Trump in den USA auf. Orbán präsentierte sich als „altmodischer Freiheitskämpfer“ und Widerständler gegen die globale liberale Elite, die „zur Hölle gehen“ könne – ein „David gegen den woken globalen Goliath“. Sein Land werde täglich belagert von den Progressiven. „Wir müssen den Kampf aufnehmen. Wir müssen uns die Institutionen in Washington und Brüssel zurückholen, müssen uns gegenseitig Freunde und Verbündete sein.“ Orbán und Trump – eine gruselige Allianz.

Orbán höhlt bewusst die europäische Solidarität aus und konterkariert, wofür Europa steht. Als selbst erklärter Unterstützer der autochthonen Minderheiten ist er für diese zum Problem geworden und auch für die FUEN. Es ist kein Geheimnis, dass bei verschiedenen Politikerinnen und Politikern auch in Deutschland und Dänemark mit Blick auf die MSPI und die FUEN die Frage nach dem ungarischen Einfluss gestellt wird. Wie positioniert sich die FUEN zu Orbán und dessen anti-europäischen Kurs?

Meiner Meinung nach ist dies eine berechtigte Frage, die eine Antwort erfordert. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn die FUEN bei ihrem Kongress in Berlin deutlich macht, dass sie unabhängig ist und dass rassistische Äußerungen eines „illiberalen Demokraten“ sowie nationalistische Instrumentalisierungen aus Budapest auf das Schärfste verurteilt werden. Denn Glaubwürdigkeit ist in der Minderheitenpolitik das wichtigste Kapital.

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