15-11-2023
Unerwünschte Erinnerung
Die spanische Rechte will keine Vergangenheitsbewältigung (3)
Von Wolfgang Mayr
In Madrid – und nicht nur dort – gibt es mehr als 200 Straßen und Plätze, die nach Persönlichkeiten der Franco-Zeit benannt sind. Ein Verstoß gegen das „Gesetz des historischen Andenkens“ von 2007, das entsprechende Umbenennungen vorschreibt. Anfang 2016 wollte die damals der linken Podemos nahestehende Madrider Stadtregierung von Bürgermeisterin Manuela Carmena diesen Zustand ändern.
Eine – mehrheitlich konservative zusammengesetzte – Kommission einigte sich auf einen Minimalkonsens: 52 Straßen sollten einen neuen Namen erhalten. Bei der Gemeinderatssitzung im September 2016 sprachen sich ehemalige Angehörige der „Spanischen Legion“ – eine Elitetruppe der Armee und in den 1930er Jahren an der Niederschlagung von Berber-Protesten in „Spanisch-Marokko“ eingesetzt – öffentlich gegen die Namensänderung aus und bezichtigten Podemos des Terrorismus. Rechtsradikale wandten sich gegen die Namensänderung. Argument: „Gegen Rache und Unterdrückung“.
In der erwähnten Gemeinderatssitzung wandte sich auch die konservative Volkspartei, Partido Popular (PP), gegen die Namensänderung. Nach einem Mehrheitsbeschluss im Madrider Stadtrat im Mai 2017 aber schien der Neubenennung nichts mehr im Weg zu stehen – bis im Juli die Stadtregierung bekanntgab, dass sie „eine richterliche Entscheidung“ hinsichtlich der Namensänderungen abwarten würde, da mehrere Einsprüche gegen die Umbenennungen eingebracht worden waren. Im August 2017 schließlich verbot ein Richter ausdrücklich die Umbenennung.
Pakt des Schweigens
Nach dem Tod von Franco 1975 versuchten Vertreter des Franco-Apparates und Opposition die Diktatur reibungslos in eine Demokratie zu „transformieren“. Basken und Katalanen drängten auf Autonomie, Konservative und Sozialdemokraten auf den Umbau, die Kommunisten auf ihre Zulassung als Partei. Die KP akzeptierte im Gegenzug die Monarchie und die von der Franco-Zeit übernommene spanische Flagge.
Der Aufbruch endete – zwar nur kurzfristig – mit dem Putsch des Oberstleutnants Tejero von der Guardia Civil am 23. Februar 1981. Der gescheiterte Putsch zeigte deutlich, dass der Franquismus und seine Hauptbastionen, das Militär, immer noch handlungsfähig waren.
Ihre Forderung nach der Unteilbarkeit des heiligen Vaterlandes musste in der neuen Verfassung festgeschrieben werden. Die beiden großen Parteien, Konservative und Sozialisten, begruben mit ihrem „Pakt des Schweigens“ die Aufarbeitung des Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur.
Die demokratischen Regierungen hatten kaum Interesse, die Spuren des Franquismus auszulöschen: Münzen mit dem Konterfei Francos waren bis in die 1990er Jahre im Umlauf, das letzte Reiterstandbild des „Caudillo“ wurde erst 2010 entfernt.
1996 zog das rechte Lager einen Schlussstrich unter die dürftige Vergangenheitsbewältigung. Im März gewann die PP von José María Aznar die Wahlen. Die Rechten holten die alten franquistischen Mythen in die politische Öffentlichkeit, Fernseh- und Radiosender, Verlage, Zeitungen und Internetportale verherrlichten ungeniert die Franco-Ära.
Franco-Opfer allein gelassen
Jene, die an die blutige Vergangenheit erinnern, sterben aus. „Schluss mit der Straflosigkeit“, „Wir wollen endlich Gerechtigkeit!“, verlangen die Überlebenden der Diktatur. Die „Plattform gegen die Straflosigkeit“ hatte vor dem „Königlichen Posthaus“ auf dem Platz „Puerta del Sol“ in Madrid protestiert. Während der Franco-Diktatur von 1939 bis 1975 befanden sich dort die Folterkeller der politischen Polizei. Inzwischen residiert die konservative Regionalregierung in dem prachtvollen Bau. Wochen lang forderten Franco-Opfer und ihre Angehörigen die Offenlegung der Wahrheit.
Der spanische Staat leistet keinerlei strafrechtliche und eine nur unzureichende gesellschaftspolitische Aufarbeitung der Verbrechen Francos, der die politischen Gegner während Krieg (1936-1939) und Diktatur (1939-1975) systematisch terrorisieren und vernichten ließ.
Die spanische Justiz kümmert sich also wenig um die Putsch-Täter von damals, die die verfassungsmäßige Ordnung zerstört hatten. Die spanische Justiz geht hingegen gegen katalanische Politiker vor, die mit dem Stimmzettel die Unabhängigkeit erreichen wollten. Eine Rebellion gegen eine Verfassung, die Mitte der 70er Jahre Vertreter des Franco-Regimes mitgeschrieben haben.
Diese hassen den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Sanchez. Er legt immer wieder Hand an an der faschistischen Vergangenheit. 2019 ließ er den Leichnam Francos umbetten. Bis dahin lag er in einem felsigen Mausoleum, in der Nähe von Madrid. Seitdem „ruhen“ die sterblichen Überreste auf einem kleinen Friedhof.
Stiftung Francisco Franco
Die Stiftung Francisco Franco, die sich die „Wahrung des Erbes“ des „Generalissimo“ zur Aufgabe gemacht hat, fürchtet nun ein Verbot. „Ist es ein Verbrechen, anders zu denken?“, heißt es in einer Mitteilung. Die Stiftung beharrt auf dem Recht der „Verteidigung der Wahrheit gegen die zunehmende Manipulation dieser historischen Epoche“.
Sie kann auf die Unterstützung der rechtsextremen Vox setzten, die seit der Wahl im November drittstärkste Kraft im spanischen Parlament ist. „Sie drohen uns mit dem Strafgesetzbuch, sie wollen uns verbieten und uns alle einsperren, aber wir werden nicht schweigen“, erklärte Parteichef Santiago Abascal, als die Sozialisten im Wahlkampf ein Verbot der Verherrlichung Francos in Aussicht stellte.
Diese Truppe mit ihren tiefen Wurzeln im spanischen Faschismus schwadroniert von der Verletzung der Verfassung wegen der Amnestie für unbequeme katalanische Persönlichkeiten?
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