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Schleswig/Sønderjylland: Ein Minderheitenmodell in der deutsch-dänischen Grenzregion

Prof. Jørgen Kühl kennt das deutsch-dänische Grenzland und die Minderheitensituation wie kaum ein anderer. Für VOICES hat er die Besonderheiten dieses "Modells" zur Beilegung von nationalen Konflikten und die Förderung sowie den Schutz der Minderheiten und der Sprachenvielfalt der Region analysiert.

„Jesiden in der Sindschar-Region auf der Flucht: Machtpolitik auf dem Rücken der Bevölkerung“

VOICES-Kolumne im "Der Nordschleswiger": Aktuell spielt sich – weitestgehend von der Weltöffentlichkeit unbeobachtet – ein Drama ab, das schlimmste Erinnerungen an das Jahr 2014 weckt. Tausende Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden sind zum Spielball internationaler sowie regionaler Interessen geworden und fürchten um ihr Leben, schreibt Jan Diedrichsen in seiner Kolumne.

Krimtatare inhaftiert, weil er die Wahrheit über den Krieg berichtet

Viele Krimtataren haben bereits nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im Jahr 2014 und die Besatzung der Krim ihre Heimat verlassen. Die GfbV hat in der Zeit der beginnenden russischen Aggression intensiv das Schicksal der Krimtataren begleitet. Heute sind die Krimtataren beinah gänzlich aus dem Fokus verschwunden Der Druck auf die verbliebenden politischen Akteure bleibt jedoch enorm.

Der chilenische Verfassungskonvent beschließt erste Artikel

Der chilenische Verfassungskonvent hat nach sechsmonatiger Arbeit die ersten Artikel für die neue Verfassung beschlossen. Kaum vorgelegt, sorgen die Entwürfe für Aufregung, ist doch von Justizsystemen die Rede. Die Mapuche beispielsweise drängen auf ihre autonome Gerichtsbarkeit. Der Konvent scheint das selbstgesetzte Ziel anzustreben, die Plurinationalität und damit die Anerkennung der Ureinwohner.

Die einzige autonome Region Tansanias und ganz Afrikas: Sansibar. Quelle: WIKIPEDIA

Die einzige autonome Region Tansanias und ganz Afrikas: Sansibar. Quelle: WIKIPEDIA

Von Thomas Benedikter

In der jüngsten Geschichte Afrikas scheiterten zwei Experimente mit Territorialautonomie kläglich. Das durch eine UN-Resolution geschaffene Autonomieabkommen zwischen Äthiopien und Eritrea dauerte von 1952 bis 1962, brach aber unter dem Angriff des Regimes in Addis Abeba zusammen. Erst 1993, nach drei Jahrzehnten des bewaffneten Widerstands, erlangte Eritrea seine Unabhängigkeit. Die erste, 1972 eingeführte Autonomie des Südsudan bestand nur auf dem Papier und ihr Scheitern löste zwei Jahrzehnte Krieg aus. Im Jahr 2006 wurde eine Art Übergangsautonomie eingerichtet, um den Süden auf die Unabhängigkeit vorzubereiten, die 2011 nach einem Referendum erklärt wurde. Die einzige wirkliche Territorialautonomie Afrikas besteht heute in Tansania auf den Inseln Pemba und Unguja, die den autonomen Teilstaat Sansibar bilden.

Das Gleiche gilt für den Föderalismus, der in Afrika eine ambivalente Geschichte hat. In der Zeit vor der Unabhängigkeit sahen kleinere Völker und ethnische Gruppen den Föderalismus als Bollwerk gegen die Vorherrschaft größerer Völker und als Garantie für die Beibehaltung eines privilegierten Status in ihrem traditionellen Gebiet. Nach dem Rückzug der Kolonialmächte war der Föderalismus bei den politischen Bewegungen beliebt, die die Interessen kleiner, historisch gewachsener ethnischer Gruppen vertraten. Doch die Idee wurde von den Bewegungen ethnischer Mehrheiten, die die Staatsmacht erlangten, schnell wieder verworfen. Heute haben nur vier der 55 Mitglieder der AU eine föderale Verfassung: Äthiopien, Nigeria, Südafrika und die Komoren (Somalia ist nur formal ein Bundesstaat).

Der zentralistische europäische Nationalstaat als Maßstab

Die Grenzen, die Afrika bis in die 1960er Jahre teilten, wurden zumeist von den Kolonialmächten mit dem Lineal auf der Landkarte und ihrem Militär gezogen. In Bezug auf Kultur und Ethnizität waren diese Gebiete meist heterogen. Im Gegensatz zur Geschichte der Staatsbildung in Europa entstanden die Staaten Afrikas nicht im Zuge zwischenstaatlicher Kriege, sondern durch weitgehend konfliktfreie Übergaben durch die Kolonialmächte, mit Ausnahme von Algerien, den Kolonialgebieten Portugals und dem südlichen Afrika. Infolgedessen waren die Beziehungen zwischen den neuen Staaten meist geordnet, intern aber gab es laufend Aufstände und regionaler Widerstand. In den Jahren nach der Unabhängigkeit orientierten sich die neuen postkolonialen Staaten in der Regel an den ehemaligen Kolonialmächten und übertrugen deren territoriale Organisation: die ehemaligen britischen Kolonien richteten ein Zweikammersystem ein, während die ehemaligen französischen Kolonialstaaten die Institutionen Frankreichs kopierten, doch beide waren zentralistisch ausgerichtet.

Häufig wurde die alte Abhängigkeit zwischen kolonialer Metropole und peripherer Kolonie durch eine neue Aufteilung zwischen der Hauptstadt und der inneren Peripherie des Staates ersetzt, die oft von ethnischen Minderheiten und Minderheitenvölkern besiedelt war. Heute sind die meisten Staaten in Afrika immer noch zentralistisch organisiert: Die Staatsmacht ist räumlich in der Hauptstadt konzentriert und gesellschaftlich in den Händen der so genannten Staatsklasse, die oft nur ein Ausdruck der dominierenden ethnischen Gruppe ist. Das bedeutet auch, dass sich die Abwanderung aus den entlegeneren Provinzen nach der Unabhängigkeit fortsetzte, unabhängig davon, ob ein kapitalistischer, sozialistischer, demokratischer oder autoritärer Entwicklungsweg eingeschlagen wurde. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Biographie der politischen Anführer, die eine politische und intellektuelle Sozialisation in den Ländern hinter sich hatten, gegen deren Herrschaft sie rebelliert hatten. Staatlicher Zentralismus unter der Herrschaft einer dominanten ethnischen Gruppe und einer herrschenden Klasse kennzeichnet die meisten heutigen 55 Staaten Afrikas.

Da der europäische Nationalstaat implizit als Maßstab für eine erfolgreiche Staatsbildung fungierte, bestand die erste Aufgabe darin, effektiv eine „Nation“ zu schaffen oder aufzubauen, um den jeweiligen neuen Staat zu legitimieren. Die oft sozial, ethnisch, kulturell und sprachlich sehr heterogene Bevölkerung – im Kongo werden 200 Sprachen gesprochen, in Nigeria 500, in Äthiopien 80 – musste zu einer staatlichen Gemeinschaft mit einer kollektiven Identität zusammengeschweißt werden. Aus der Sicht vieler Politiker der frühen postkolonialen Ära konnte nur ein Einheitsstaat eine solche Mammutaufgabe bewältigen.

Zentralisierung bringt weder Frieden noch Stabilität

Ein halbes Jahrhundert der Zentralisierung der Macht hat jedoch Afrika keine politische Stabilität gebracht. Vielen Zentralregierungen gelang es nicht, eine starke nationale Identität und politische Stabilität zu schaffen. Darunter litt z.B. jahrzehntelang die riesige „demokratische Republik Kongo“. Die Reaktion darauf war nicht der Übergang zu einem föderalen, dezentralen Staatswesen oder zu territorialer Sonderautonomie für einzelne Gebiete, sondern Zentralismus und Repression, wie derzeit gerade in Ambazonien (Nordwest-Kamerun) zu beobachten. Doch auch bei den Rebellen stand nicht Territorialautonomie, sondern meist Sezession auf der Tagesordnung. Dies ist zum einen auf die besondere Rolle zurückzuführen, die die ethnische Zugehörigkeit im postkolonialen Afrika gespielt hat, und zum anderen auf das Fehlen einer demokratischen Tradition und Rechtsstaatlichkeit auf dem afrikanischen Kontinent.

Andererseits war es einfacher, das neokoloniale Regierungssystem in einem zentralisierten Staat aufrechtzuerhalten, auch wenn dies kaum je offen als Grund genannt wurde. Dieses heute noch oft existierende System beruht auf der Kontrolle der staatlichen Ressourcen durch das Zentrum, das seinen Anhängern im Gegenzug für Loyalität und Gefolgschaft Vorteile gewährt. Der Staat nimmt dabei einen exorbitanten Platz im sozialen und wirtschaftlichen Leben ein und verdrängt andere Akteure. Gleichzeitig nutzen die Akteure des Staatsapparates seine dominante Stellung, um sich und den Zentralstaat auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern und den Fortbestand des Versorgungsapparates zu sichern.

Regionalisierung, Föderalismus, Territorialautonomie

Die geringe Präsenz von Erfahrungen mit Territorialautonomie in Afrika bedeutet nicht, dass dieses Konzept für die Lösung innerstaatlicher Konflikte in Afrika nicht anwendbar wäre. Territorialautonomie auf substaatlicher Ebene vervielfacht per Definition den Zugang zu politischer und wirtschaftlicher Macht. Indem sie ethnischen Gruppen eine Region zur Verfügung stellt, in der sie die Mehrheit bilden, erleichtert sie die Möglichkeiten der politischen Beteiligung und Vertretung. Sie bietet den regionalen Eliten die Mittel für eine politische Beteiligung und Vertretung in den Führungsstrukturen ihrer autonomen Regionalregierungen und fördert die Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften.

Ob symmetrische föderale Systeme oder symmetrische Regionalstaaten, oder auch Territorialautonomie nur für einzelne Gebiete mit Minderheiten und kleineren Ethnien: Die Erfahrungen aus 100 Jahren Territorialautonomie (und Föderalismus) auf allen Kontinenten zeigen, dass Staaten ethnische Vielfalt und Selbstverwaltung bewältigen können, ohne ethnische Spaltungen zu institutionalisieren und Sezession zu befördern. Absolute Voraussetzung dafür sind aber Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Der verfassungs- und staatsrechtliche Rahmen muss Rechtssicherheit für alle bieten, die Demokratie auf allen Ebenen sichert politische Stabilität, gleichberechtigte Teilhabe und staatlichen Zusammenhalt. Der Schutz der individuellen und kollektiven Rechte von Minderheiten gehört notwendigerweise dazu. Wenn die verfassungsrechtlichen Vorschriften nach Belieben verletzt und die Grundrechte ethnischer Minderheiten ungestraft missachtet werden, droht das Experiment der Autonomie zu scheitern, was in der Geschichte mehrfach geschah.

Bei den soziogeografischen Voraussetzungen für eine funktionierende Territorialautonomie ist eine gewisse territoriale Konzentration einer ethnischen Gruppe oder kleineren Volkes gefragt. Die Autonomie bietet einen Rechtsraum für die Selbstverwaltung dieses Gebiets, vorausgesetzt, die internen Minderheiten dieser Region werden respektiert, indem sie in die Verwaltung dieser Region einbezogen werden. Wenn die Elite des autonomen Gebiets darauf erpicht ist, die autonome Macht unter Ausschluss der übrigen ansässigen Bevölkerung allein zu kontrollieren, wird eine neue ethnische Diskriminierung ausgelöst, die den Keim für neue Unruhen, Gewalt und Sezessionsbewegungen legt. Leider haben die meisten afrikanischen Staaten das europäische Modell der zentralistischen Nationalstaaten kopiert, ohne jedoch konsequent Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu importieren. Afrika ist immer noch Schauplatz der meisten innerstaatlichen Konflikte weltweit. Schuld daran ist nicht die bloße ethnische Heterogenität vieler afrikanischer Länder, sondern das Fehlen einer soliden Demokratie, eines Rechtsstaates und von Minderheitenschutzsystemen. In autoritären Systemen und Diktaturen würde auch Territorialautonomie den Minderheiten und kleineren Völkern keinen großen Gewinn bringen.