26-12-2021
Stan Swamy: Adivasi – Von Waldbeschützern zu ‚Waldzerstörern‘! – Das Zustandekommen und die Abschaffung des Forest Rights Act, 2006

By Khetfield59 - Own work, CC BY-SA 4.0
Stan Swamy, Kämpfer für die Rechte der Adivasi, festgenommen unter fadenscheinigen Gründen, starb am 5. Juli 2021 – noch inhaftiert – in einem Krankenhaus in Mumbai.
VOICES brachte gestern einen Nachruf „Kämpfer für die Rechte der Adivasi: Stan Swamy“ von Gladson Dungdung, Menschenrechtsverteidiger aus der Adivasi-Gemeinschaft der Kharia.
Hier folgt nun ein Auszug aus dem literarischen, politischen Vermächtnis von Stan Swamy. Eine Übersetzung des Kapitels „Adivasis – from forest-protectors to ‘forest-destroyers’! The making and unmaking of the Forest Rights Act” aus seinem letzten Buch:
Adivasi… von Waldbeschützern zu ‚Waldzerstörern‘! – Das Zustandekommen und die Abschaffung des Forest Rights Act, 2006
Von Stan Swamy
Die Art und Weise, wie die Adivasi (indigene Bevölkerung) im Hinblick auf ihre traditionelle Nutzung der Wälder behandelt wurden, war eine große Ungerechtigkeit, die anhielt, seitdem die Kolonialherren die Kontrolle über die Wälder übernommen hatten. Nach der Unabhängigkeit folgte die neue indische Führungsschicht demselben Prozess und beanspruchte die absolute Autorität über die Wälder. Bäume wurden wahllos abgeholzt, Holz-Mafias durften die Wälder verwüsten und missachteten dabei die indigenen Völker und ihre traditionellen Rechte in den Wäldern, die ihr Zuhause waren und sind.
Früher war es üblich, dass die Forstverwaltung mit Waldmafiosi zusammenarbeitete, um mutwillig Bäume zu fällen. In regelmäßigen Abständen kamen einige höhere Forstbeamte, um den Zustand der Wälder zu überprüfen. Die Beamten der unteren Ebene gingen in benachbarte Adivasi-Dörfer, schnappten sich ein paar Männer und beschuldigten sie des illegalen Holzfällens und warfen sie ins Gefängnis. Es sei hier an einen besonderen Fall im Distrikt Singhbhum im früheren Bihar erinnert. Etwa fünftausend Adivasi wurden jahrelang vor Gericht gezerrt. In den 1980er Jahren untersuchte ein engagierter Adivasi-Rechtsaktivist den gesamten Fall. Er wühlte sich in archäologischen Museen durch Berge von Dokumenten aus der britischen Kolonialzeit, welche die traditionellen Waldrechte der Adivasi betrafen. Er reichte vor dem Obersten Gerichtshof Indiens Klage gegen die Verletzung der traditionellen Rechte der Adivasi durch das Forstamt ein. Das Gericht setzte eine Kommission ein, die die Angelegenheit untersuchen und einen Bericht erstellen sollte. Die Kommission befragte mehrere Angeklagte und Forstbeamte und legte ihren Bericht ordnungsgemäß vor. Aus diesem wurde deutlich, wie die skrupellose Forstbehörde im Einvernehmen mit der ebenso skrupellosen Holzmafia die Adivasi, die in und um die Wälder lebten, schikanierte. Der Oberste Gerichtshof stellte mit einem Federstrich Hunderte von Fällen ein und sprach Tausende von Adivasi frei, die zu Unrecht beschuldigt worden waren. Das Gericht warnte die damalige Regierung von Bihar davor, unschuldige Adivasi in Zukunft auf diese Weise zu drangsalieren.
Dennoch gingen die Schikanen in allen überwiegend von Adivasi bewohnten Bundesstaaten Zentral-Ostindiens und anderswo weiter. Schließlich verabschiedete die United Progressive Alliance (UPA)-Regierung das „Gesetz über die Rechte im Wald“ (Forest Rights Act, 2006), das erklärtermaßen darauf abzielte, die „historische Ungerechtigkeit“, die den Adivasi und anderen traditionellen Waldbewohnern in Bezug auf ihre traditionellen Rechte in den Wäldern widerfahren war, zu korrigieren. Das Gesetz erklärte, dass alle Adivasi-Familien Anspruch auf zweieinhalb Hektar des Waldlandes haben, auf dem sie bisher gelebt und Landwirtschaft betrieben haben. Auch andere Haushalte, die nicht zu den Adivasi gehören und seit mehr als drei Generationen in den Wäldern leben und arbeiten, haben Anspruch auf ähnliche Eigentumsrechte. Dementsprechend wurde die Regierung angewiesen, geeignete Mechanismen zur Umsetzung der Bestimmungen des Gesetzes vorzuhalten. Der Regierungsapparat trat in Aktion und richtete das dreistufige Prüfungsgremien ein, um die Echtheit der Ansprüche zu überprüfen: 1. Gram Sabha (Form von Dorfrat, Anm. Übersetzer), 2. Ausschüsse auf Blockebene und 3. auf Bezirksebene. Auch das Format der Anträge wurde bekannt gegeben.
Unter den Adivasi-Rechtsaktivisten, die die „gute Nachricht“ unter den Waldbewohnern verbreiteten, herrschte eine ungeheure Begeisterung. Tausende und Abertausende von Anträgen gingen ein, in denen sie den Besitz der von ihnen bewohnten Waldgebiete forderten. Die Zukunft sah rosig aus. Doch schon bald sollte die Axt auf ihre gehegten Träume fallen.
Auf nationaler Ebene wurden über einen Zeitraum von zehn Jahren 41 Lakh (4,1 Millionen) eingereicht. Davon wurden 18 Lakh (1,8 Millionen) genehmigt, 3 Lakh (300.000) in der Schwebe gehalten und 20 Lakh (2 Millionen) abgelehnt! Allein im Bundesstaat Jharkhand wurden 30.000 Anträge eingereicht, 11.000 wurden Eigentumsrechte gewährt, 4.000 in der Schwebe gehalten und 15.000 abgelehnt. Kurz gesagt, 50 Prozent aller Anträge auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene wurden abgelehnt.
Wirklich besorgniserregend ist, dass die meisten Anträge zwar von der Gram Sabha genehmigt wurden, aber auf der Ebene des Blocks und noch mehr auf der Ebene des Distrikts stecken blieben. Der Grund für diese Anomalie ist einfach: Die Mitglieder der Gram Sabha kennen sich untereinander gut, sie wissen, wer welches Land wie lange bewirtschaftet. Deshalb haben sie die meisten Anträge genehmigt. Die Ausschussmitglieder auf Block- und Distriktebene hingegen sind meist Außenstehende – Nicht-Adivasi-Beamte, von denen die meisten kaum Sympathien für Adivasi haben; ein größerer Teil von ihnen war sogar grundsätzlich dagegen, den Waldbewohnern Eigentumsrechte einzuräumen.
Der grausamste Einschnitt von allen stand noch bevor
Fast aus heiterem Himmel erließ der ehrenwerte Oberste Gerichtshof Indiens Anfang 2019 eine einseitige Anordnung zur sofortigen Räumung aller Adivasi und Waldbewohner, deren Anträge auf Waldbesitz abgelehnt worden waren. Diese Anordnung schlug bei den Adivasi im ganzen Land wie eine Bombe ein. Der Oberste Gerichtshof reagierte damit auf die Beschwerde eines „Tierliebhabers“, der die Forstbehörde beschuldigte, ihrer Pflicht zur Räumung der abgelehnten Anträge nicht nachgekommen zu sein. Leider hat sich der Oberste Rat nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, ob das Verfahren, das im Rahmen des dreistufigen Systems durchgeführt wurde, gültig, human und gerecht war. Er hat auch nicht zur Kenntnis genommen, dass die 20 Lakh (2 Millionen) Familien, deren Anträge abgelehnt worden waren, aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben werden sollten. Weder die Zentralregierung noch die Regierungen der Bundesstaaten hatten ein Rehabilitationsprogramm für diejenigen ausgearbeitet, die bei Umsetzung der Vorgaben alles verlieren würden.
Diese äußerst ungerechte Maßnahme des Obersten Rates rief bei den Adivasi-Gesellschaften im ganzen Land eine überwältigende Wut hervor. Überall im Land fanden Demonstrationen, öffentliche Versammlungen und Protestkundgebungen gegen die Regierungen der Bundesstaaten statt, die sich nicht für den Schutz der Adivasi und anderer Waldbewohner eingesetzt hatten. Schon bald erklärte sich der Oberste Gerichtshof bereit, den Fall zu überprüfen, und wies die Regierungen aller Bundesstaaten an, innerhalb von sechs Monaten einen Bericht darüber vorzulegen, wie sie das Gesetz über die Rechte an Wäldern umgesetzt haben. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts, im August 2019, haben noch nicht alle Bundesstaaten ihre Berichte vorgelegt. Was der Oberste Rat als nächstes tun wird, ist noch unklar.
Ist ein Tierleben wertvoller als ein Menschenleben?
Das Forstministerium ist jetzt so richtig in Fahrt gekommen. Es will garantieren, dass Wildtiere in den Wäldern Indiens einen sicheren „Korridor“ haben. Es will also dafür sorgen, dass kein Mensch den Tieren in die Quere kommt. Der „Korridor für Wildtiere“, der „Korridor für Elefanten“, der „Korridor für Tiger“ und vielleicht noch andere Korridore werden sich bald über mehrere Bezirke in Zentralindien erstrecken. Die katastrophale Folge solch romantischer ökologischer Initiativen könnte die Vertreibung Tausender von Adivasi-Dörfern sein. Wie immer, wenn Hunderte von Dörfern gewaltsam aus ihren jahrhundertealten Wohnsitzen in den Wäldern vertrieben werden, wohin werden sie dann gehen? Sind irgendwelche Rehabilitationsmaßnahmen für sie vorgesehen? Die Regierung und die Justiz schweigen zu diesen Fragen in erstaunlichem Maße.
Die Adivasi-Gemeinschaften haben in ihren jeweiligen Gram Sabhas beschlossen, dass sie nicht umziehen werden. Im Gegenteil, sie haben behauptet, dass sie all die Jahrhunderte in Harmonie mit der Natur und den Tieren gelebt haben. Sie fordern, dass diese harmonische Beziehung von der übrigen Gesellschaft anerkannt und gewürdigt wird und dass sie in Frieden mit den Tieren und allen anderen Organen von Mutter Erde leben dürfen.
Übersetzung: Jan Diedrichsen
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