Spät aber doch

Mexikos Präsident entschuldigt sich für einen Völkermord im Schatten der Revolution. Sonntagsgerede.

Von Wolfgang Mayr

Die End-Kolonialisierung in Mexiko ist noch lange nicht vorüber. Die Republik setzte fort, was die spanischen Eroberer begonnen hatten. Die Kolonialisierung des Landes und die Marginalisierung der Ureinwohner.

Der einstige Azteken-Staat und die vielen anderen hochkulturellen Stadtstaaten wurden zerstört. Die Nachfahren der Ureinwohner zogen sich zurück, in die Berge, in die Urwälder, wichen den Eindringlingen aus.

Sie wehrten sich aber auch, wie beim Bürgerkrieg in den 1850er Jahren gegen die Konservativen, diese wiederum Nachfahren der Eroberer. Die folgenden Reformen des zapotekischen Präsidenten Benito Juarez von 1858 bis 1872 scheiterten aber an der hispanisch geprägten Elite und ihrem Machtblock. Es scheiterten aber auch die Errungenschaften der mexikanischen Revolution von 1910. Die indigenen bäuerlichen Revolutionäre, angeführt von Emiliano Zapata und Pancho Villa, wurden nach dem Sieg ausgegrenzt und abgedrängt. Zapata und Villa ermordet.

Diese Revolution erstickte aber auch unter dem korrupten Machtapparat der Partei der Institutionalisierten Revolution PRI.  Der derzeit amtierende „linke“ Präsident Obrador und seine Partei „Movimiento Regeneracion Nacional“ kündigten zwar eine neue Politik gegenüber den Ureinwohnern an, es blieb aber bei der Ankündigung.

Die mexikanische Elite pflegt zwar die Überreste der zerstörten Hochkulturen, die als identitätsstiftend gelten und dementsprechend gepflegt werden. Die Nachfahren der untergegangenen Kulturen wurden und werden auch von der Republik bekämpft, in dem ihnen Rechte vorenthalten werden, ihre Sprachen amtlich nicht anerkannt sind, kulturelle, wirtschaftliche und politische Autonomie verweigert wird. In der hispanisierten Mainstream-Gesellschaft wächst inzwischen aber auch das Interesse am alten Mexiko, am traditionellen Handwerk und Ernährung.

Bis in die Politik ist dieses Interesse noch nicht vorgedrungen. Es verwundert deshalb auch nicht, dass nicht nur in Chiapas die indigene Bevölkerung den Status Quo gründlich in Frage stellt. Im Bundesstaat Oaxaca protestieren indigene Gemeinden gegen eine Verlängerung der Konzession für eine Mine in San José del Progreso. Die Initiative „No a la Mineria por un Futuro de Todas y Todos“ (Nein zum Bergbau für eine Zukunft für alle), ein Zusammenschluss mehrerer zapotekischer Gemeindevorstände, verlangt die Einstellung des Bergbauprojekts.

Amerika21 berichtete, seid Beginn des Betriebes habe sich die Armut in der Region, trotz gegenteiliger Versprechungen, nicht verringert. Außerdem zerstört der Bergbau die Umweltdurch freigesetzte Gifte, lasse den Grundwasserspiegel sinken, wodurch zahlreiche Frischwasserquellen versiegen und gefährde den sozialen Zusammenhalt in den Gemeinden. Nach Angaben der Initiative seien zwei Anwohner:innen, die sich der Mine widersetzt hatten, ermordet worden, mindestens acht weitere verletzt. Ein Beispiel von vielen. Präsident Obrador und seine Regierung halten am umstrittenen Minen-Projekt fest, wie auch am Großprojekt „Tren-Maya“ in Yucatan und anderen Erschließungsprojekten von „oben“.

Mit einer Goodwill-Tour versuchte Obrador sein angekratztes Image zu polieren. Er besuchte im Norden Mexikos die Klein-Stadt Vicam, die als Hauptstadt der Yaquí gilt. Deren Region ist Teil des Bundesstaates Sonora. Mit einem feierlichen Akt entschuldigte sich Präsident Obrador im Namen des mexikanischen Staates bei den Yaqui für den Genozid, den der autokratisch regierende Präsident Porfirio Díaz (1884 bis 1911) angeordnet hatte. Die Yaquíwehrten sich gegen den kaltschnäuzigen Diebstahl ihres fruchtbaren Landes an und um den Río Yaquí, gegen den Raub ihrer Wasserrechte.

Bei den Yaqui spielte sich die Geschichte der Eroberung ab, wie überall in Amerika. Ende des 19. Jahrhunderts bekriegte die mexikanische Armee die Yaquí und raubte ihr Land. Viele flohen ins nahe gelegene Arizona. Der für die Armee unerwartete Widerstand der ursprünglich 30.000 Yaquí hielt lange an. Viele Yaqui starben bei Vertreibungen, bei Deportationen und in Kämpfen. Präsident Obrador erinnerte in seiner Rede an den Tod von mindestens 15 000 Yaqui, die der Eroberung zum Opfer fielen. Obrador kündigte an, 3000 Hektar Land den Yaquí zu übertragen, die Wasserrechte anzuerkennen und die
Gemeinden mit Trinkwasser zu versorgen. Mit einem „Entwicklungsprogramm“ sollen das Gesundheits- und das Bildungswesen verbessert werden – als Teil des „Planes für Gerechtigkeit für das Volk der Yaquí“.

Den Anstoß für diesen Versuch der Wiedergutmachung gab der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II. mit seinem Buch „Die Yaquí: indigener Widerstand und ein vergessener Völkermord“. Der linke Historiker und Romancier schaute hinter die Revolution von 1910 und „entdeckte“ den verschwiegenen Genozid an den Yaquí. Bei seinen Besuchen in der Yaqui-Region sprach Paco Ignacio Taibo II mit den Gobernadores, den Regierenden und mit Ältesten. Außerdem studierte der Historiker auch die verschiedenen Regierungsakte aus jener Zeit. Im Schatten der Revolution fand ein Genozid statt, das Fazit seiner Recherchen. Nur 7000 der mehr als 30.000 Yaqui überlebten den Genozid, sie wurden aus ihrer Heimat deportiert, nach Yucatán und Oaxaca.

In den acht Ortschaften am Río Yaquí leben wieder 30 000 Yaqui, die vor allem Getreide und Baumwolle anbauen. Auf kollektivem Landbesitz. Paco Ignacio Taibo II zeichnete den Widerstand von 1533 bis heute nach. Die Yaqui standen und stehen immer noch im Visier lokaler und staatlicher Eliten.

Als besonders brutaler Feind gelten heute die Drogenkartelle, die in der Region um die Provinzstadt Ciudad Obregon das Sagen haben. Immer wieder verschwinden Yaquí, die sich gegen die Allmacht der Drogenbarone wehren.

Der links-populistische Staatschef hatte sich bereits für ein Massaker an Chinesen 1911 und für die Folgen der spanischen Eroberung im Namen des Staates um Verzeihung gebeten. Mit diesen Gesten „feiert“ die Regierung die 500-jährige Kolonialisierung seit der Zerstörung des Aztekenreiches und die 200-jährige Unabhängigkeit von Spanien.

 

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