Scott Momaday

Ein großer Geschichtenerzähler ist heimgegangen

Von Wolfgang Mayr

Navarra Scott Momaday, Kiowa, Schriftsteller, meisterhafter Geschichtenerzähler und Pädagoge, ist tot. Sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter Debütroman „House Made of Dawn“ gilt als Beginn einer Renaissance der zeitgenössischen indianischen Literatur. Er wurde 89 Jahre alt. Momaday wird von Freunden und Organisationen als „ein Gigant der indianischen Literatur“ gewürdigt.

Der stellvertretende Vorsitzende der Kiowa von Oklahoma, Joseph Tsotigh, sagte: „Die Cáuigú und die Welt haben eine der eloquentesten Stimmen unserer Generation verloren! Mit tiefer Trauer nehme ich den Tod eines großartigen, talentierten und unbändigen Autors, Dichters und Erzählers Dr. N. Scott Momaday zur Kenntnis. Die Welt wird nie wieder einen wie ihn kennen“. 

Die Iñupiaq-Autorin Joan Kane, Gastprofessorin am Reed College, erinnert sich, wie sie während ihres ersten Studienjahres am Harvard College spät und zufällig auf Momadays Schriften stieß. Für Kane ist Momaday einer der einflussreichsten amerikanischen Schriftsteller. Er öffnete mit seinem Wirken jungen indigenen Autorinnen und Autoren die oft verschlossenen Türen des Literaturbetriebes.

Sie erinnert sich an ihr erstes Treffen mit Momaday, als er bei einer Zusammenkunft von Stammesbibliothekaren, Archivaren, Museumsmitarbeitern und Journalisten sprach. Dort, erinnerte sie sich, hörte er genauso viel zu, wie er sprach. Kane war angetan von der Ernsthaftigkeit Momadays, aber auch von seinem Humor, seiner Zugänglichkeit und Leichtigkeit.

„Scott war ein außergewöhnlicher Mensch und ein außergewöhnlicher Schriftsteller. Er war eine einzigartige Stimme in der amerikanischen Literatur und es war eine Ehre und ein Privileg, mit ihm zu arbeiten“, schreibt die Herausgeberin von Momaday, Jennifer Civiletto. „Sein Kiowa-Erbe war für ihn von großer Bedeutung und er widmete einen Großteil seines Lebens der Bewahrung der Kultur der amerikanischen Ureinwohner, insbesondere der mündlichen Tradition.“

„House Made of Dawn“, 1968 veröffentlicht, erzählt von einem Soldaten im Zweiten Weltkrieg, der nach seiner Rückkehr große Schwierigkeiten hat, sich anzupassen. Eine Geschichte, die so alt ist wie der Krieg. In diesem Roman kehrt der Soldat in seine abgelegene Heimat zurück, eine indigene Gemeinschaft im ländlichen New Mexico. Ein Großteil des Buches basiert auf Momadays Kindheit in Jemez Pueblo, New Mexico und auf seinen Konflikten zwischen den Lebensweisen seiner Vorfahren und dem american way of life. „Ich bin in beiden Welten aufgewachsen und bewege mich auch heute noch zwischen diesen Welten“, erzählte Momaday 2019 in einer PBS-Dokumentation. „Es hat für Verwirrung und Reichtum in meinem Leben gesorgt.“

Trotz Werken wie John Joseph Mathews‘ 1934 erschienenem „Sundown“ waren indianische Romane zur Zeit von „House Made of Dawn“ kaum bekannt. Der Rezensent der New York Times, Marshall Sprague, behauptete in seiner ansonsten wohlwollenden Rezension, dass „amerikanische Indianer in der Regel keine Romane und Gedichte schreiben oder Englisch an hochrangigen Universitäten unterrichten können. Aber wir dürfen nicht bevormundend sein. Das Buch von N. Scott Momaday ist an sich schon großartig.“

Wie Joseph Hellers „Catch-22“ war auch Momadays Roman eine Geschichte, die bei einer Generation Anklang fand, die gegen den Vietnamkrieg protestierte. 1969 gewann Momaday als erster amerikanischer Ureinwohner den Pulitzer-Preis für Belletristik und sein Roman förderte eine Generation von Autorinnen und Autoren, darunter Leslie Marmon Silko, James Welch und Louise Erdrich. Zu seinen Fans zählten Autorinnen wie Joy Harjo, der ersten Ureinwohnerin des Landes, die zum Poet Laureate ernannt wurde, bis hin zu den Filmstars Robert Redford und Jeff Bridges.

Momaday wurde am 27. Dezember 1934 in Lawton, Oklahoma, geboren. In einem PBS-Interview sagte er, er sei in Armut geboren, in einem Haus ohne Strom oder Sanitäranlagen: „Wir stehen am unteren Ende der Skala. Daraus bin ich durch die Kraft des Glücks und der Beharrlichkeit in eine neue Existenz gekommen. Ich habe mir einen Ruf erarbeitet und das Vermächtnis meiner indigenen Vorfahren macht es möglich, große Nachteile zu überwinden.“

Die restlichen Ureinwohner zu Beginn des 20. Jahrhundert litten unter der Niederlage, nachdem sie besiegt, niedergeschlagen und niedergehalten worden waren. „Es war furchtbar schwer für sie, da rauszukommen, diese Katastrophe zu überleben,“ beschreibt Momaday die indianische Tragödie: „Aber sie haben es zu einem großen Teil geschafft. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Ich möchte, dass mein Vermächtnis ein Beispiel dafür ist, wie man trotz dieser Widrigkeiten überleben kann.“

Momaday berichtete PBS im Dokumentarfilm von 2019, dass die alte mündliche Tradition im Mittelpunkt des heutigen Geschichtenerzählens steht. „Die Landschaft, die meiner Meinung nach die Verkörperung des Geistes ist, ist irgendwie von Sprache und mündlicher Überlieferung geprägt. Ich denke, die Stimmen der Vorfahren, die bis in die geologische Zeit zurückreichen, sind da. Sie sind in der Landschaft und wenn sie gerufen werden, können sie es sein – sie gehen aus der Landschaft heraus und in die Herzen der Menschen.“ Der Einfluss von Vorfahren und Traditionen trug dazu bei, „The Way to Rainy Mountain“ (1969) und „The Names: A Memoir“ (1976) zu formen.

Aufgewachsen in Arizona und New Mexico, wo seine Eltern in Reservaten unterrichteten, lernte Momaday nicht nur die Kiowa-Kultur seines Vaters kennen, sondern auch die anderer Ureinwohner des Südwestens, darunter die Navajo-, Apachen- und Pueblo-Traditionen. Er besuchte die University of New Mexico und promovierte 1963 in englischer Literatur an der Stanford University.

In den folgenden Jahrzehnten lehrte er unter anderem an den Universitäten Stanford, Princeton und Columbia, war Kommentator für NPR und hielt weltweit Vorträge. Er veröffentlichte mehr als ein Dutzend Bücher, wie auch „The Ancient Child“ und wurde zu einem führenden Verfechter der Vitalität des traditionellen Lebens der Ureinwohner.

1970 unterstrich Momaday auf einer Versammlung von US-Gelehrten: „Unsere Existenz besteht in unserer Vorstellung von uns selbst.“ Er verteidigte die Ehrfurcht der Ureinwohner vor der Natur und schrieb, dass „die amerikanischen Indianer eine einzigartige Beziehung zur amerikanischen Landschaft haben“. Er erzählte Geschichten, die ihm seine Eltern und Großeltern erzählt hatten. Er betrachtete die mündliche Kultur als Quelle der Sprache und des Geschichtenerzählens und datierte die amerikanische Kultur nicht nur auf die frühen englischen Siedler, sondern auch auf die Antike zurück, wobei er auf die Prozession der Götter hinwies, die in den Felszeichnungen des Barrier Canyon in Utah dargestellt ist.

„Wir wissen nicht, was sie bedeuten, aber wir wissen, dass wir an ihrer Bedeutung beteiligt sind“, schrieb er in dem Essay „The Native Voice in American Literature“. „Sie überdauern die Zeit in der Vorstellungskraft, und wir können nicht daran zweifeln, dass sie mit der Essenz der Sprache ausgestattet sind, der Sprache der Geschichte, des Mythos und des Urgesangs. Sie sind 2.000 Jahre alt, mehr oder weniger, und sie machen den Ursprung der amerikanischen Literatur so genau wie nur irgend möglich.“ .

2007 verlieh Präsident George W. Bush Momaday die National Medal of Arts „für seine Schriften und seine Arbeit, die die Kunst der amerikanischen Ureinwohner und mündliche Traditionen feiern und bewahren“. Neben seinem Pulitzer-Preis wurde er unter anderem mit einem Preis der Academy of American Poets und 2019 mit dem Dayton Literary Peace Prize geehrt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite