Roma: Tschechien beschließt Entschädigung für zwangssterilisierte Frauen

Von Jan Diedrichsen

Der Tschechische Senat hat am vergangenen Freitag entschieden, dass tausende Frauen der Roma-Minderheit, die in den Jahren 1966-2012 von Tschechoslowakischen bzw. Tschechischen Behörden zur Zwangssterilisation gezwungen bzw. gedrängt wurden, Entschädigung erhalten. Die letzte Zwangsterilisation in Tschechien ist aus dem Jahre 2007 belegt.

Nach jahrelangen Kampagnen von Überlebenden hat sich die tschechische Regierung 2009 bei den Betroffenen für die unrechtmäßigen Sterilisationen entschuldigt. Doch bis heute wurde ihnen Wiedergutmachung für das erlittene Leid verweigert. Es wurde von den Gerichten immer wieder darauf verwiesen, dass der vorgeworfene Tatbestand verjährt sei. Auch die Europäische Union, der Europarat und zahlreiche Menschenrechtsorganisation hatten immer wieder auf den Skandal hingewiesen, dass die Frauen bist heute keine Entschädigung erhalten hätten.

Nach Angaben des tschechischen Ombudsmannes wurden in der ehemaligen Tschechoslowakei Tausende von Roma-Frauen sterilisiert.

Laut des nun vom Senat verabschiedete Entschädigungsgesetz, das für alle Personen, die zwischen 1966 und 2012 unrechtmäßig sterilisiert wurden gilt, erhalten Überlebende innerhalb von drei Jahren eine Entschädigung in Höhe von 300.000 CZK (115.000 Euro), die über das Ministerium für Gesundheitswesen beantragt werden muss.

Die Sterilisation von Frauen war in der Tschechoslowakei bis 1993 eine staatliche Politik.  Die Praxis der Sterilisation von Roma-Frauen und Frauen mit Behinderungen gegen ihren Willen endete jedoch nicht mit der Abschaffung der Gesetzgebung, die dies erlaubte, sondern wurde in den 1990er und 2000er Jahren fortgesetzt.

In der kommunistischen Tschechoslowakei wurde diese Praxis durch das Sterilisationsdekret von 1971 rechtlich sanktioniert. Dieses Dekret gab den staatlichen Behörden mehr oder weniger freie Hand, Roma-Frauen und Frauen mit Behinderungen ohne ihre vollständige und informierte Zustimmung als Mittel der Geburtenkontrolle systematisch zu sterilisieren. Im Jahr 1979 initiierte die Tschechoslowakei außerdem ein Programm mit finanziellen Anreizen für Roma-Frauen, sich sterilisieren zu lassen, und begründete dies mit der Notwendigkeit, „die sehr ungesunde Roma-Bevölkerung durch Familienplanung und Empfängnisverhütung zu kontrollieren“.

Die Roma sind die größte nationale Minderheit in der Tschechischen Republik. Der Europarat schätzt, dass etwa 150.000 bis 250.000 Roma in der Tschechischen Republik leben. Laut der Volkszählung 2011 erklärten 13.109 tschechische Bürger, dass sie der Roma-Ethnie angehören.

Die offiziellen Schätzungen der Regierung gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Roma zwischen 160.000 und 350.000 liegt (1,4-3,2 % der Bevölkerung des Landes). Ähnlich wie bei anderen nationalen und ethnischen Gruppen gibt es auch in der tschechischen Gesellschaft assimilierte Roma, die sich selbst nicht als Roma deklarieren und daher bei der nationalen Volkszählung und den Schätzungen außen vor bleiben.

Die jüngsten Daten zu den sozioökonomischen Bedingungen der Roma in der Tschechischen Republik ergaben, dass sich die Zahl der sozial ausgegrenzten Gebiete, die überwiegend von Roma bewohnt werden, innerhalb von zehn Jahren (2005-2015) verdoppelt hat und es derzeit mehr als 600 sozial ausgegrenzte Gebiete in der Tschechischen Republik gibt. Die Diskriminierung von Roma in den wichtigsten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wie Bildung, Wohnen, Zugang zu Beschäftigung und Gesundheitsversorgung ist ein unveränderliches Merkmal ihrer Erfahrungen in der Tschechischen Republik, sowohl vor als auch nach dem Fall des Kommunismus.

Eine umfangreiche Dokumentation des ECCR gibt Einblick in die erschütternden Schicksale.

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