21-04-2023
Rassistisches Lateinamerika – Teil 1
Zwischen dem Rio Grande im Norden und dem Feuerland im tiefen Süden werden die Nachfahren der Ureinwohner-Völker immer stärker ausgegrenzt.
Von Wolfgang Mayr
Die erklärten „Indianer-Feinde“, die iberoamerikanische Rechte, hat sich Ende März 2023 zum Forum „Gruppe Freiheit und Demokratie“ zusammengefunden. Ihr Ziel, Freiheit und Demokratie verteidigen. Mit dabei sind gleich mehrere lateinamerikanische Politiker, die sich in ihrer Amtszeit kaltschnäuzig über Freiheit und Demokratie hinwegsetzt haben, genauso hartnäckig und gewalttätig über indigene Ansprüche.
Wie der Mexikaner Vincente Fox, der Ecuadorianer Felipe Calderon, die Tageszeitung La Tercera listete diese „Demokratie-Kämpfer“ schön gereiht auf. Darunter auch die Spanier Mariano Rajoy und José María Aznar von der nationalkonservativen Volkspartei PP. Harte Rechtsaußen, Erben von General Franco. Rajoy ließ 2017 die paramilitärische Guardia Civil prügelnd gegen das als illegal erklärte katalanische Unabhängigkeitsreferendum vorgehen.
Im Umfeld dieses angeblichen Diskussionsforums mischt auch die spanische Neofaschisten-Formation Vox mit. Die Franco-Enkel vernetzen die Ultrarechten in Spanien und in Lateinamerika. Die Wiederbelegung des spanischen Kolonialreiches. Diese Truppe ist eine Gefahr für die schwächelnden lateinamerikanischen Demokratien. Besonders gefährlich sind diese „Demokratie-Verteidiger“ für die indigenen Bevölkerungsgruppen.
Labor Peru
In diesem Anden-Staat manifestieren die Nachkommen der Eroberer, wer im Land das Sagen hat. Mit einem kalten Putsch servierte die politische Creme den gewählten Präsidenten Pedro Castillo ab. Möglicherweise waren seine politischen Fehler gravierend, er sitzt nun aber im Gefängnis, weil er das Land reformieren wollte, kommentierte seine Anwalt Guido Leonardo Croxatto. Er sagte laut der Berliner Zeitung, hinter der Verhaftung steht die Elite des Landes.
Castillo wollte Peru umbauen, die autoritäre Verfassung des Diktators Alberto Fujimori demokratisieren und die indigene Bevölkerung am Wohlstand des Rohstoffreichtums teilhaben lassen. Nach Auseinandersetzungen mit dem Parlament wurde Castillo im Dezember 2022 seines Amtes enthoben.
Der Kongress lehnte mehr als 70 Gesetzesinitiativen von Castillo ab, genauso seinen Plan, Großkonzerne zu besteuern. Die Absetzung des Präsidenten lief nach dem bolivianischen Beispiel ab. Die Gegner des indigenen Präsidenten Evo Morales putschten und versuchten eine Oligarchen-Regierung zu installieren. Bei den folgenden Wahlen verjagten Quechua und Aymara mit ihren Stimmzetteln die weiße „Restauration“.
Wochenlang protestierten in Peru die organisierte indigene Landbevölkerung und die städtische Castillo-Anhängerschaft gegen den „Putsch der Rechten“. Mit an der Spitze der Proteste war die Aktivistin Lourdes Huanca Attencio, die Respekt „für ihre Leute“ einforderte. Die Aymara Huanca Atencio ist Präsidentin der Frauenorganisation Fenmucarinap (Federacion Nacional de Mujeres Campesinas Artesanas Indigenas Nativas Asalariadas del Peru) mit als 120.000 Mitgliedern, die der Kleinbauernbewegung Via Campesina angehört.
Der Putsch der Castillo-Feinde, darunter auch ehemalige linke Verbündete, richtet sich gegen die indigene Landbevölkerung, in den Anden wie auch im Amazonas-Regenwald. Dort wurde kürzlich Asháninka-Vertreter Santiago Contoricón Antúnez ermordet. Wahrscheinlich im Auftragt der organisierten Kriminalität in Zusammenspiel mit illegalen Landhändler. Die GfbV weist darauf hin, dass Indigene, die ihre Territorien schützen, immer häufiger angegriffen werden. Die Conquista scheint noch nicht abgeschlossen zu sein.
Den plurinationalen Staat destabilisieren
In Bolivien gelang es Morales-Nachfolger Luis Arce und seinem Mitstreitenden David Choquehuanca von der linken Partei MAS Ende 2020 die Wahlen gegen die bolivianische Rechte zu gewinnen. Dafür sorgte ein Bündnis aus indigenen Bergarbeitern, Bauern, Frauen und städtischer Linker.
Inzwischen versuchen rechte Gouverneure abermals das Land zu destabilisieren. Wie einst im Chile von Salvador Allende streiken in Bolivien die Besitzenden, versuchen Agrar- und Bergbauindustrie die Regierung zu Fall zu bringen. Dafür gibt es ein Muster, eine Blaupause. Im Visier der bolivianischen Rechten das Konzept eines plurinationalen Staates. Sie lehnen die Festschreibung indigener Rechte ab. Die Nachfahren der spanischen Eroberer bekämpfen die indigene Identität, ihre Lebensweisen, Weltsichten, ihr Wissen, ihre Weisheiten, Sprachen und Geschichte.
Die indigene Bevölkerungsmehrheit, besonders die Hochlandbauern und die Bergarbeiter, sind gut organisiert. Seit Jahren schon wehren sie sich mit Aufständen, Streiks und Straßenblockaden gegen die restlose Unterdrückung. Bei den Wahlen 2005 eroberte diese Koalition um Evo Morales die Macht im Staat. Das eröffnete die Zeit einer indigenen, bäuerlichen, volksnahen, entkolonialisierten und interkulturellen Demokratie, die zudem den Anspruch erhob, antipatriarchal zu sein.
Ein Horror für die weiße städtische Elite, die seitdem auf Rache sinnt. Der Putsch von 2019 war der verzweifelte Versuch, die Zeit zurückzudrehen. Aus dem plurinationalen Staat wieder einen anti-indianischen Apartheid-Staat zu schaffen. Die Nachfahren der Ureinwohner wissen sich aber zu wehren, in Bolivien, wie auch in Venezuela, Brasilien, Argentinien, Bolivien, Uruguay, Ecuador, Honduras, Paraguay. Sie verteidigen ihre Territorien und ihre Autonomie. Sie wollen ihre Schicksale gemeinsam selbst in die Hand zu nehmen. Für „weißen Oligarchen“ und ihre politische Elite ein rotes Tuch.
Linke indigenistische Organisartionen und Parteien warfen MAS und Morales Verrat vor. Die kommunitäre Feministin America Maceda Llanque kritisierte scharf die MAS-Elite, die „praktisch den größten Teil der indigenen originär-bäuerlichen Bevölkerung“ aus der MAS ausschlossen hat. „Physisch hatten wir den Feind im Staat an der Macht. Du hast physisch erkannt, wo dein Feind war, er war derjenige, der die Macht besaß“, analysierte Maceda.
Ein besonders scharfer Kritiker von Morales, Felipe Quispe Huanca, ist im Alter von 78 Jahren an Herzversagen verstorben. Der Aymara Quispe, bekannt unter dem Namen El Mallku, wurde 1942 in der Provinz Omasuyos im Hochland geboren. El Mallku bedeutet auf Aymara „der Kondor“ und wird ebenfalls für traditionelle Autoritäten verwendet. Seine Anerkennung erwarb er sich durch seinen langjährigen Widerstandsgeist und Einsatz für die Bewegung. 1978 war er an der Parteigründung der indigenen Bewegung Túpac Katari beteiligt, die sich für die Wiedereinführung von Selbstverwaltungsformen und die Anerkennung indigener Sprachen einsetzte. Quispe geißelte die bolivianische Linke, MAS und Morales gleichermaßen, die indigenen Zielen über Bord geworfen zu haben.
(Teil 1 über den – auch von der Linken „gepflegten“ – anti-indigenen Rassismus in Lateinamerika. Teil 2 wirft einige Schlaglichter auf Ecuador, Kolumbien und Venezuela)
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