Nur italienisch

Die Justiz im autonomen Südtirol missachtet die Verfassungspflicht auf Zweisprachigkeit

Von Simon Constantini

In einem Land, in dem knapp 70% der Bevölkerung der deutschen Sprachgruppe angehören, werden 80% bis 90% der Strafverfahren in der Staatssprache Italienisch geführt. Dies berichtet Rai Südtirol unter dem Titel Deutsch ist vor Gericht eine Seltenheit — in Berufung auf Stefan Tappeiner, Präsident der Strafsektion am Bozner Landesgericht.

Genauere Daten, wie sie für eine Sprachpolitik erforderlich wären, gibt es wohl auch in diesem Bereich nicht. Jahrzehntelang war die Mehrheitssprache der Südtirolerinnen auch aus diesem sensiblen Feld ausgeschlossen.

Anlass für die Berichterstattung von Rai Südtirol ist, dass hierzulande (erst) seit dreißig Jahren — also fast ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs — wieder Prozesse in deutscher Sprache möglich sind.

Zitat Rai Südtirol: „Zudem gestalte(n) sich die Übersetzungen vieler Begriffe laut Richter Tappeiner oft als schwierig. „Bestimmte Nuancen werden vielleicht nicht ganz korrekt übersetzt. Gerade deswegen versuchen wir immer Prozesse so abzuwickeln, dass jeder in seiner Muttersprache aussagen kann und dass dann auf eine Übersetzung verzichtet werden kann.“

In konstitutiv mehrsprachigen Staaten mit mehrsprachig abgefassten Gesetzen und entsprechendem Personal, wie auch Südtirol einer sein könnte, stellen derartige Herausforderungen keine besonderen Probleme dar. Auch die internationale Gerichtsbarkeit (EGMR, EuGH etc.) funktioniert völlig normal in mehreren Sprachen.

Dass die überwältigende Mehrheit der Strafprozesse in Südtirol noch drei Jahrzehnte nach „Wiedereinführung“ der deutschen Sprache vor Gericht auf Italienisch abgehalten wird, ist jedoch ein klares Symptom der fortdauernden Minorisierung der deutschen Sprache (vgl. fehlende Stenodienste; einsprachiger Rechnungshof).

Laut dem Sprachbarometer des Südtiroler Landesinstitut für Statistik Astat gaben 9,2% der Deutschsprachigen an, dass ihnen in den zwölf Monaten vor der Befragung das Recht auf Gebrauch der Muttersprache vor Gericht verwehrt worden sei. Wenn man berücksichtigt, dass gar nicht so viele Menschen überhaupt je mit Gerichten in Berührung kommen, mutet dieser Anteil enorm an.

Vor einigen Jahren hatte es der frühere Gerichtspräsident Heinrich Zanon folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Trotz Zweisprachigkeitsnachweis seien viele Richterinnen gar nicht imstande, ein Urteil auf Deutsch zu verfassen.

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