05-11-2021
Mühseliger Kampf um das Gedenken: Tessa Hofmann und ihre Initiative für eine ökumenische Gedenkstätte für Genozid-Opfer
(c) genozid-gedenkstätte.de
Von Wolfgang Mayr
Mit einer Gedenkstätte auf einem Friedhof in Charlottenburg in Berlin wird inzwischen an die Opfer des jungtürkischen Völkermords an den Armeniern erinnert. Diese ökumenische Stätte ergänzt die an der Westseite des Friedhofs verrostete Stahlplatte mit der Aufschrift „Gedenkt der Opfer des osmanischen Genozids 1912-1922“. Auf dem Boden vor der Platte waren Gedenksteine eingebracht mit armenischen Ortsnamen.
Eine Stätte an das Gedenken, auf einem Friedhof, nicht auf einem der vielen Berliner Plätze. Das war nicht möglich, zitierte der Tagesspiegel Tessa Hofmann, einer der Initiatorinnen der Gedenkstätte. Vor zehn Jahr trat die Initiative „Mit einer Stimme sprechen“ erstmals an die Öffentlichkeit, eine ökumenische Gedenkstätte errichten zu wollen.
Die Reaktionen darauf waren alles eher als zustimmend. Die Wünsche der Nachfahren, davon leben inzwischen viele in Berlin, stießen kaum auf öffentliche Gegenliebe. Die Mehrheitsgesellschaft bestimmt, wer, was, wo und wie erinnert, bedauert Tessa Hofmann. Diese schloss aus, dass es für die armenischen und anderen christlichen Genozid-Opfer im öffentlichen Raum eine Gedenkstätte geben wird.
Eine Gedenkstätte provoziert Moslems?
Die ablehnenden Begründungen überraschen nicht. Auf einem zugänglichen Platz könnte die Gedenkstätte geschändet werden, war eines der banaleren Argumente. Die Bezirksverwaltung befürchtet gar, dass sich der große muslimischen Bevölkerungsanteil durch die Gedenkstätte provoziert fühlen könnte. Ein Mahnmal im Zentrum der Stadt, nicht umsetzbar, war die Botschaft.
Das änderte sich auch nicht, als der Bundestag 2016 seine Resolution zum Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten des Osmanischen Reiches verabschiedete. Die Initiative wurde an die Verwaltungen der Friedhöfe verwiesen, die der Kirche unterstehen und deshalb nur teilweise öffentliche Räume sind. Die Initiative wurde fündig, entdeckte 2011 auf dem Friedhof von Charlottenburg syrisch-orthodoxe Grabsteine.
Für Tessa Hofmann, sie forschte am Osteuropa-Institut der Freien Universität über Migration, ist der Standort Charlottenburg gar kein Zufall. Dort kreuzen sich die deutsch-preußische und die osmanisch-türkischen Geschichte: In der Hardenbergstraße wird 1921 der ehemalige Innenminister der jungtürkischen Regierung, Talaat Pascha, von einem armenischen Studenten erschossen, schreibt der „Tagesspiegel“. Charlottenburg ist Standort der armenischen Botschaft. Zwei der drei armenischen Gemeinden haben ihren Sitz in diesem Bezirk.
2012 wurde mit dem Bau der ökumenischen Gedenkstätte begonnen. „Es geht uns einerseits darum, an die Millionen Toten zu erinnern“, sagte Hofmann im „Tagesspiegel“. „Andererseits auch um das verlorene kulturelle Erbe.“ Der Völkermord vor mehr als hundert Jahren und der Verlust von Heimat und kultureller Identität ist laut Hofmann eine „offene Wunde“ für die Nachkommen.
Aufarbeiten und heilen
Durch Aufarbeitung wird Heilung und Versöhnung möglich, machbar, umsetzbar, ist sich Tessa Hofmann sicher. Eine ökumenische Gedenkstätte ist dafür der richtige Ort. Hofmann, seit Ende der 1970er Jahren betreute sie in der GfbV das bis dahin vergessene Thema Armenien, will verstärkt nachforschen. Briefe, Schilderungen und Aufzeichnungen von Gesprächen in den Familien werden Fragen aufwerfen, die Antworten will Hofmann suchen.
Ihre künftige Forschung bezieht sich auf die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern während des Völkermordes. Die Männer wurden meist ermordet, Kinder und Frauen wurden verschleppt und versklavt, missbraucht und vergewaltigt. Mit einer neuen Webseite sollen bisher unbekannte Details des Genozids öffentlich gemacht werden.
Auf der englischsprachigen Seite (http://www.virtual-genocide-memorial.de) listen die Gedenkstätten-InitiatorInnen Ortsnamen des Osmanischen Reichs auf. Hofmann will diese Liste anreichern mit Informationen darüber, welche Christen dort gelebt haben, ob es darunter auch Künstler, Schriftsteller, Architekten und bedeutende Kaufleute gab. Hofmann ist überzeugt, dass die verschiedenen christlichen Bevölkerungsgruppen entscheidende Beiträge zur kulturellen Vielfalt des alten osmanischen Reiches geleistet haben.
Dokumentiert werden soll auch die regional unterschiedlich abgelaufene systematische Vernichtung. Dabei sollen die Opfer aller christlichen Volksgruppen berücksichtigt werden, nicht „nur“ die armenische Geschichte (siehe www.houshamadyan.org).
http://genozid-gedenkstaette.de/namenssteine/index.php
TessaHofmann_Ansprache_Aramaeer_Gedenktag_15062017.pdf (aga-online.org)
285 100 Jahre Völkermord- 100 Jahre Leugnen (gfbv.de)
Voices • Völkermord an den Armeniern: Tessa Hofmann klärt unermüdlich weiter auf (gfbv-voices.org)
Zwangsumgesiedelt und privilegiert. Armenier im Iran, von Tessa Hofmann, 30.3.2010 (gfbv.it)
Willkommen bei der Armin T. Wegner Gesellschaft (armin-t-wegner.de)
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