06-07-2022
Marktwirtschaft plus Rechtsstaat?
Für einige Vertreter der deutschen Wirtschaft scheint diese Paarung nicht mehr zu gelten.

Von Wolfgang Mayr
Der grüne Toni Hofreiter hat das erfolgreiche deutsche Wirtschaftsmodell knapp und bündig beschrieben. In Russland wurde billig Gas und Öl gekauft und damit Waren produziert, die auf dem chinesischen Markt verkauft wurden. Exportweltmeister Deutschland.
Deutschland machte sich in der Energieversorgung von Russland abhängig, nicht weniger im Handel mit China. Die Abhängigkeit mit der manchesterkapitalistischen sowie kommunistischen Volksrepublik reicht wesentlich weiter, wesentliche Güter wie beispielsweise Masken und Arzneien müssen aus China importiert werden. Deutschland an russischen und chinesischen Tröpfen. Zwei Staaten, für die Menschenrechte keine Rechte sind, nicht einmal Fußnoten. Und trotzdem buhlte die deutsche Wirtschaft um die Gunst von Präsident Putin und seinem Oligarchenstaat, kooperiert der deutsche Kapitalismus mit dem chinesischen Staatskapitalismus und seinen Großkonzernen.
Egal, ob der kommunistische Staat seit mehr als einen halben Jahrhundert Tibet ethnisch säubert, in Ost-Turkestan die Bevölkerung brutal unterdrückt und dort VW-Niederlassungen arbeiten lässt und egal, ob der KP-Staat die einstige demokratische Metropole Hongkong abwürgt.
Nicht anders ist die Wortmeldung von VW-Chef Herbert Diess zu verstehen. Er warnt vor einem Kippen der Weltwirtschaft und einer Konfrontation mit der kommunistischen Volksrepublik. Diess zeigte sich besorgt über die China kritische Grundhaltung der Ampel-Regierung. „Ohne die Geschäfte mit China würde die Inflation noch weiter explodieren“, warnte Diess im „Spiegel“ vor einem deutschen Rückzug vom chinesischen Markt. Diess erinnert daran, dass der deutsche „Wohlstand von China mitfinanziert wird“.
Zur Präzisierung, nicht China finanziert den Wohlstand in Deutschland mit, sondern die Zwangsarbeiter in den vielen angeblichen Berufszentren in Ost-Turkestan. VW betreibt in Xinjiang in Zusammenarbeit mit dem chinesischen Unternehmen SAIC ein Werk. In Xinjiang wird die muslimische Bevölkerung systematisch diskriminert.
Darüber informieren seit einiger Zeit schon die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen, die China nicht beeindruckten, genau sowenig die verschiedenen Konzernzentralen in Europa. Die sogenannten Xinjiang Police Files enthalten tausende Behördenfotos von Uiguren, die in Lagern und Gefängnissen eingesperrt wurden. Auch deshalb gewährte das Wirtschaftsministerium VW keine Investitionsgarantien für China mehr.
Diess wies im „Spiegel“ die Kritik zurück, im VW-Werk in Ost-Turkestan gibt es keine Zwangsarbeiter. Das bestätigen ihm die chinesischen Partner. Ein blauäugiger oder bewusst blinder Konzernchef, auf alle Fälle ein Schönredner, um Hanno Schelder von der GfbV zu zitieren. „Die Beschönigung des Völkermordes an den Uiguren durch einen mächtigen Mann wie Herrn Diess erfreut sicher die chinesische Regierung – und erleichtert die dortigen Geschäfte der Wolfsburger“, wirft Schedler dem VW-Chef Kaltschnäuzigkeit vor.
In den fernen 1970er Jahre erklärten gebetsmühlenhaft die Vertreter der Wirtschaft die soziale Marktwirtschaft und den Rechtsstaat als untrennbares Duo. Das scheinen die Nachfolger erfolgreich verdrängt und vergessen zu haben. Wahrscheinlich überzeugt die chinesische Betriebsrealität den Wirtschaftskapitän, keine freien Gewerkschaften, keine Betriebsräte, keine Mitbestimmung, keine Kollektivverträge, also keine rechtsstaatliche Verfassung der Wirtschaft.
GfbV-Mitarbeiter Schedler fordert, dass alle „Produkte aus der Völkermord-Region mit einem Importstopp belegt werden, Volkswagen soll sein Werk in Urumtschi umgehend schließen.“
Nicht nur Diess will weiterhin mit der kommunistischen Diktatur kooperieren. Auch der Textilunternehmer Wolfgang Grupp brachte sich gegen die deutsche Regierung in Stellung. Der begeisterte Lada-Fahrer sagte in der WirtschaftsWoche, „ich bin gegen einen Boykott russischer Firmen und Produkte.“ Denn, wenn er mit Kunden oder Lieferanten über Jahrzehnte ein gutes Verhältnis habe, „dann löse ich dies nicht einfach auf, nur, weil die Politik meint, diese bestrafen zu müssen.“
Kein Wort über den russischen Eroberungskrieg in der Ukraine, über den russischen Terrorismus in den besetzten ukrainischen Gebieten, über Vertreibungen und Deportationen. Grupp übertrifft den VW-Chef, er lehnt vehement wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland ab. Zudem wirbt Grupp trotz des russischen Krieges in der Ukraine weiterhin für Gasimporte aus Russland. Denn, Russland ist nicht der Alleinschuldige. Grupp gibt den USA eine Mitschuld am Ukraine-Krieg. Putin wird sich über diese Wortmeldung tierisch freuen. Reiht sich Grupp freiwillig in den antiwestlichen Block ein?
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