22-11-2021
Maidan – Aufbruch in eine offene Gesellschaft

Von Nessa Gnatoush - https://www.flickr.com/photos/11036666@N08/11155511025/, CC BY 2.0
Von Wolfgang Mayr
Wo steht die Ukraine heute? Wie offen und demokratisch ist sie? Konnte die „Revolution der Würde“ ihre Versprechen halten? Diese und mehr Fragen formulierte Eduard Klein in den Ukraine-Analysen und wurde für den LibMod-Sammelband „Ukraine verstehen. Auf den Spuren von Terror und Gewalt“ überarbeitet. Daraus einige Auszüge.
Am 21. November 2013 rief der Journalist Mustafa Najjem im Facebook zu einer Protestkundgebung auf. Gegen den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, weil der auf russischem Druck das EU-Assoziationsabkommen nicht unterzeichnet hatte. Einige wenige Dutzend Protestierende gingen auf den Maidan, dann wurde es Zehntausende, schließlich ein landesweiter Protest, diese beschreibt Klein als Revolution der Würde.
Der pro-russische korrupte Neo-Stalinist Janukowitsch verließ fluchtartig das Land, seine Schergen gingen brutal gegen Demonstrierende vor, schossen auch auf Protestierende. Eine Neuwahl ermöglichte einen Neustart, den alte Seilschaften und ukrainisch-sowjetische Apparatschiks gewaltig einbremsten.
Russland besetzte und annektierte die Krim, in der östlichen Ukraine – im proletarischen Industrieland Donbas – befeuerte Moskau einen angeblichen russischen Aufstand gegen die Ukrainer. Der Aufbruch in eine offene Gesellschaft wurde rigoros abgebremst, von korrupten Politikern und Oligarchen, von Russland und seinen Hilfstruppen im Donbas. Laut Klein ist deshalb die Enttäuschung groß: „Fast drei Viertel der Bevölkerung sind unzufrieden mit der Entwicklung des Landes.“
Der Maidan steht für eine neue Ukraine
Trotz der riesigen Unzufriedenheit und des wachsenden Korruptionssumpfes ist die „Ukraine nach dem Maidan ein gänzlich anderes Land als die Ukraine vor dem Maidan,“ schreibt Eduard Klein. Er verweist auf die vielen Veränderungen im Hintergrund, auch sie verändern das Land stückweise.
„Die ukrainische Gesellschaft ist zwar noch keine `offene Gesellschaft´ im idealtypischen Popper’schen Sinne. Aber mit dem Maidan hat sie einen großen Sprung gemacht, weg von der postsowjetischen, geschlossenen Gesellschaft,“ schlussfolgert Klein.
Klein verortet die spürbarsten Reform-Fortschritte im Gesundheits- und Bildungswesen aber auch in der öffentlichen Verwaltung. In diesen Bereichen werden die handfesten Interessen der alten Eliten nicht so stark berührt, erläutert Klein, deshalb sind auch Reformen möglich. Stillstand herrscht hingegen im Justizwesen und bei der Bekämpfung der Korrupten, dagegen wehren sich die Oligarchen und ihre politischen Handlanger bisher erfolgreich.
Überraschendweise gibt es aber auch in diesen „Biotopen“ Veränderungen. Weil es Druck von der Zivilgesellschaft und Druck aus Brüssel gibt. Klein spricht von Vorzeige-Beispielen und verweist auf die Schaffung des unabhängigen Antikorruptionsgerichts, das elektronische Beschaffungswesen „Prozorro“ oder das Nationale Antikorruptionsbüro. „Ihnen wird durchaus erfolgreiche Arbeit attestiert,“ bestätigt Klein die angesprochenen Erfolge.
Für Eduard Klein ist der Maidan die größte Zäsur seit der Unabhängigkeit 1991. „Die Ukrainerinnen und Ukrainer träumen von einem modernen, demokratischen, prosperierenden, friedlichen und irgendwann wiedervereinigten Staat,“ kommentiert Klein die ukrainische Politik von unten.
Die reformorientierte Bevölkerung der Ukraine muss aber unterstützt werden, erinnert Klein die EU an ihre Verpflichtungen. „Deutschland und Europa sollten die europäischen Ideale verteidigen und nicht zuletzt auch aus eigenem Interesse den Krieg vor der eigenen Haustür beenden. Wir sollten die Ukraine und die engagierten Ukrainerinnen und Ukrainer auf ihrem schwierigen Weg mit Empathie, Unterstützung und Entschlossenheit begleiten,“ appelliert Klein.
Aufbruch in eine offene Gesellschaft – ukraineverstehen.de
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Eduard Klein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen und Redakteur der Fachzeitschrift Ukraine-Analysen. Als Referent für Internationale Politik und Redakteur von Ukraine war er vorher für das Zentrum Liberale Moderne tätig. Eduard Klein war außerdem wissenschaftlicher Mitarbeiter der grünen Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck und politischer Redakteur von „dekoder – Russland entschlüsseln“. Er twittert privat unter @edthedrive_in
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