01-11-2021
KOMMENTAR: Eine EU-Arktis-Strategie entsteht – Das Europäische Parlament muss für die indigenen Völker erhebliche Nachbesserungen erstreiten

(c) Umweltbundesamt
Von Jan Diedrichsen
Mit dem Beginn der Weltklimakonferenz reist eine Karawane an Menschen nach Glasgow, Schottland, die an den Verhandlungen gar nicht beteiligt sind. Mit teilweise spektakulären Aktionen werden die anwesenden EntscheidungsträgerInnen auf die Dramatik der Lage aufmerksam gemacht und der politische Druck hochgehalten. „Fridays for future“ oder Greta Thunberg sind beeindruckende Beispiele dafür, wie weit ein solches Engagement tragen kann.
VertreterInnen von indigenen Bevölkerungen aus der ganzen Welt sind in Glasgow anwesend, die akut vom Klimawandel betroffen sind. Die GfbV mahnt zu Recht an, die „indigene Perspektive“ stärker in den Blick zu nehmen. Richtig so! Entscheidungen dürfen nicht über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen werden; das Wissen und die Kompetenzen dieser Gruppen sind mit einzubauen.
Plakative Forderungen reichen nicht aus, daher vertiefen sich sowohl Fridays for Future und Greta Thunberg in die konkrete Politik. Stellen konkrete Forderungen, machen Vorschläge – denn nur so wirkt der Druck nachhaltig. Es ist unerlässlich sich sozusagen auf das Spielfeld der EntscheidungsträgerInnen zu begeben. Politisches Lobbying im positiven aber vor allem im konkreten Sinne, gemeinsam mit den indigenen Bevölkerungen, muss im Mittelpunkt stehen.
Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an: Die Europäische Union erarbeitet derzeit eine Arktis-Strategie: Die Kommission hat kürzlich mit der Mitteilung „Verstärktes Engagement der EU für eine friedliche, nachhaltige und prosperierende Arktis“, einen ersten Aufschlag hingelegt. Es sind der Strategie viele freundliche Worte zu den indigenen Bevölkerungen zu entnehmen. Doch wirklich konkret wird die Kommission nur mit wenigen Einlassungen: „Die EU wird Frauen, junge Menschen und indigene Völker stärker an den einschlägigen Entscheidungsprozessen beteiligen“, heißt es auf Seite 19.
Die Europäische Kommission macht es sich mit den punktuell eingestreuten, wohlfeilen Formulierungen zu der „Bedeutung der indigenen Bevölkerungen“ zu einfach. Das kennen wir zu genüge: bei den indigenen Belangen bzw. Minderheitenfragen wird es meist sprachlich blumig, inhaltlich jedoch blutleer.
Die Europäische Kommission hat zum Beispiel nicht ein Wort der Kritik an Russland übrig, das bekanntlich die Rechte der Völker in der Arktis mit Füßen tritt. Aber auch die Verweise auf die „eigenen“ Bevölkerungsgruppen, also denen auf dem Territorium eines EU-Mitgliedstaates, zum Beispiel die Sami, reichen über oft gehörte Floskeln nicht hinaus. Daher muss dringend das Europäische Parlament bearbeitet werden, um mit deutlichen Botschaften nachzusteuern, wenn die Arktis-Strategie nun in das parlamentarische Verfahren tritt.
Etwa 40 Völker leben in der Arktis. Die Verwirklichung ihrer Rechte steht im Mittelpunkt einer nachhaltigen Zukunft für die Region, das steht außer Frage. Die Verwirklichung dieser Rechte setzt voraus, dass die Möglichkeit und Fähigkeit der indigenen Bevölkerungen sich umfassend an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, verbessert wird. VertreterInnen dieser Gruppen müssen proaktiv durch die EU in Entscheidungsorgane und -prozesse eingebaut werden.
Eine Forderung an die EU sollte daher sein, die Rahmenbedingung für eine Konferenz der indigenen Völker der Arktis bereitzustellen. Natürlich sollten VertreterInnen aus allen Arktis-Anrainerstaaten mit am Tisch sitzen, wenngleich das die russische Seite kaum begeistern wird. Diese Konferenz sollte sich auf konkrete Forderungen verständigen und im Prozess der EU-Arktis-Strategie eingebaut werden. Vielleicht findet sich für eine solche Idee eine Mehrheit im Europäischen Parlament. Ganz unwahrscheinlich ist es nicht, es würde jedoch viel Überzeugungsarbeit und politisches Lobbying bedürfen.
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