20-08-2021
John Muir – Vater der US-Nationalparks: Weißer Naturschutz gegen Miwok und Lakota
Von Wolfgang Mayr
Bücher über Natur und Tiere und Pflanzen, über Menschen und Landschaften, über belebter und unbelebter Natur. So bewirbt der Verlag Matthes & Seitz seine Reihe Naturkunden. Es geht um fremde und vertraute Natur, heißt es weiter. In dieser Reihe erzählen Menschen leidenschaftlich, kundig und anschaulich über die Natur. Im Programm von Naturkunden sind gleich zwei Bücher von John Muir, „Yosemite“ und „Die Berge Kaliforniens“. John Muir gilt in den USA als der Held des Naturschutzes.
Der Geologe und Schriftsteller Muir veröffentlichte 1912 sein Buch „Yosemite“. Darin schwärmt er über das Naturparadies in diesem drittältesten Nationalpark. Deutschlandradio lobte das Buch als ein poetisches Denkmal für ein Naturparadies, das 300 km östlich von San Francisco in den westlichen Hängen der Sierra Nevada liegt. Yosemite mit seinen Granitbergen, El Capitan und Half Dome, Wasserfällen, reinen Bächen, Riesenmammutbäumen, kurzum ein Paradies.
In der Zeit der „Landnahme“ durch die US-Armee und durch europäische Migranten durchwanderte Muir das 3.000 Quadratkilometer großer Yosemite-Territorium. Ein angeblich menschenleeres Land, das auch wegen des hartnäckigen Engagements von John Muir zum Nationalpark wurde, gegründet von Robert Underwood Johnson.
In dem Buch schildert Muir überschwänglich von einem unberührten Land, das vor weißer Erschließungswut geschützt werden muss. „Wer sein Buch liest, ist hautnah dabei,“ findet Deutschlandradio.
Doch es muss zuerst eine abschreckende Lese-Hürde überwunden werden, das Vorwort des kenianischen Ökologen und Essayisten Mordecai Ogada. Er langt kräftig zu. Für Ogada ist der Held Muir ein Rassist, sein Naturschutzgedanke gegen die Ureinwohner gerichtet. Muir ließ nämlich das Yosemite-Territorium „ethnisch säubern“. Die alteingesessenen Miwok wurden kurzerhand vertrieben. „Einige wurden friedlich umgesiedelt. Bei anderen war es notwendig, ihre Dörfer und Vorräte zu verbrennen.“
Besonders in Kalifornien wüteten die illegalen europäischen Migranten. Gold- und Landsucher, Abenteurer und Kriminelle richteten unter der indigenen Bevölkerung einen Völkermord an. Konservative Schätzungen gehen von 16.000 Ermordeten aus, andere von 100.000. Bis zu 27.000 Angehörige verschiedener indigener Völker wurden versklavt. Die Geschichte der Miwok in der Sierra Nevada steht stellvertretend für alle anderen Stammesnationen in Kalifornien. Vor der Eroberung bewohnten sie mehr als 100 Dörfer. Die Invasion überlebten nur Reste. Heute gibt es nur mehr 200 Miwok. John Muir mit seinem Naturschutzgedanken zählt also auch zu den Eroberern.
Ähnlich lief es im Yellowstone Nationalpark ab. Die weißen Eroberer verjagten die Vorfahren der Kiowa und Crow, die Lakota und noch andere indianischen Volksgruppen. Im Nationalpark gab es keinen Platz für die ersten Amerikaner.
Deshalb kommt Mordecai Ogada zum Schluss, „Naturschutz war und ist auch weiterhin ein integraler Bestandteil des Kolonialismus, denn er ,entfernt´ indigene Völker aus der Landschaft und aus dem Lexikon.“
„Die Bewunderung der Siedler für die Natur“, schreibt der kenianische Ökologe, „nahm keinen Bezug auf die amerikanischen Ureinwohner, die mit der Natur lebten und deren Ressourcen nachhaltig nutzten.“ Deshalb, sein Fazit, Schutzgebiete sind fast durchgängig durch Gewaltakte und Entrechtung geschaffen worden. Der Naturfreund John Muir war als Advokat der Pogrome mit dabei, findet Deutschlandradio.
„Auch die Saat des Rassismus im Naturschutz wurde in dieser Zeit von Muir gelegt, der die amerikanischen Ureinwohner als ,unrein`, als eine Art Schandfleck auf der unberührten Wildnis des Yosemite ansah,“ rechnet Ogada mit dem us-amerikanischen Vater des Naturschutzes ab.
„Wir in Afrika sind ständig Angriffen von ‚Rettern‘ ausgesetzt, die die afrikanische Tierwelt lieben, aber die afrikanischen Menschen verachten“, schreibt Mordecai Ogada. Die Legende von John Muir wird zu „einem Prisma, durch das wir jenes irrige Konstrukt betrachten können, das wir als ‚Naturschutz‘ bezeichnen.“
Der weiße Naturschutzgedanke richtet sich gegen die Menschen, kommentiert Ogada. Dem stimmt auch die NGO Survival International zu:“Auf der Welt wurden Millionen von Menschen – die Mehrheit von ihnen indigen – im Namen des Naturschutzes aus ihrer Heimat vertrieben. Alleine in Indien wurden Tausende Menschen aus Parks vertrieben und über drei Millionen leben dort noch immer unter der ständigen Bedrohung vertrieben zu werden.“
Die 100.000 Nationalparks oder Naturschutzgebiete bedecken 13% der Erde. Mit der Ausweisung dieser Parks verloren bis zu 130 Millionen Menschen ihre Heimat und Lebensgrundlage, sie wurden zu Naturschutzflüchtlingen, kritisiert Survival International. „Viele der betroffenen indigene Völker erfahren erst, dass ihre Heimat ein Naturschutzgebiet werden soll, wenn Beamte ihnen Jagd und Feldbau verbieten oder sie aus dem Gebiet ausweisen.“
Mit der Kampagne „indigener Naturschutz“ fordert Survival ein neues Naturschutz-Modell, das anerkennt, dass indigene Völker die besten Naturschützer sind und das ihre Landrechte fördert, statt sie zu umgehen.
Survival fordert das Ende des „grünen Kolonialismus“. Indigene sind laut Survival die Hüter ihrer Welt. Zwei Drittel der biologischen Vielfalt befindet sich in indigenen Gebieten. Sinnvoll ist es also, die indigenen Landrechte anzuerkennen, sie zu schützen, sie zu autonomen Regionen erklären, wie dies die Zapatistas in Chiapas fordern. Survival wirft Regierungen und Naturschutzorganisationen in Afrika und Asien vor, indigenes Land für den Naturschutz zu rauben (hier einige der vielen Berichte von Indigenen über den grünen Kolonialismus).
Als alternatives Gegenstück zur westlichen Naturschutz-Ideologie zitiert Ogada Indien und China. Trotz der hohen Bevölkerungsdichte beherbergen beide Staaten eine großartige Artenvielfalt, verteidigt Ogada die Politik Indiens und Chinas. In beiden Staaten werden aber auch Menschen vertrieben, wie die Adivasi in Indien oder die Tibeter und Uiguren in China. Ogada und seine Kritik am euro-amerikanischen Naturschutzgedanken treffen zweifelsohne zu, nicht aber die nicht nachvollziehbare Verteidigung indischer und chinesischer Umwelt-Politik. Diese ist keineswegs besser oder gar eine Alternative.
Ohne wenn und aber kann diese Aussage von Oagada geteilt werden: „Meiner Erfahrung nach besteht eine der höchsten Formen der Zivilisation in der Fähigkeit, über Jahrtausende mit der Wildnis zu leben, ohne sie zu zerstören.“
Ironie der Geschichte? Die US-Regierung ernannte auf Vorschlag von Innenministerin Deb Haaland, Angehörige der Pueblo-Nation, einen Nachfahren der oben beschriebenen Zivilisation zum neuen Leiter der Nationalpark-Verwaltung. Charles Sams von den Cayuse und Walla Walla (siehe https://indiancountrytoday„Coming full circle“) ist somit der erste indigene Spitzenfunktionär der Nationalpark-Verwaltung. Eine später Anerkennung allemal.
John Muir: „Yosemite“ – Naturjubel und schmerzhafte Erinnerung (deutschlandfunkkultur.de)
Kalifornische Indianer | Sprachen und Völker der Erde | Langwhich Lexikon
Search Indian Affairs | Indian Affairs (bia.gov)
Indigenous peoples of California – Wikipedia
California Indian History – California Native American Heritage Commission
Native Americans in California | The California Frontier Project
California Tribal Communities – tribal_projects
Indigene Völker und Naturschutz: Wächter über die Natur (gfbv.de)
Reihe – Verlag Matthes & Seitz Berlin (matthes-seitz-berlin.de)
Naturschutzflüchtlinge – Survival International
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