23-01-2022
Jimmie Durham: Ein Weltensammler
Jimmie Durham 2019; (c) Maria-Thereza Alves
Er hatte verschiedene Leben, und reiste als Sammler durch die Welt. Er hinterließ Kunstwerke, die unter die Haut unserer Zivilisation gehen. Die internationale Kunstszene erkannte seine originäre Kraft und ehrte ihn dementsprechend. Der Bildhauer und Aktivist wurde wegen seiner Herkunft im indianischen Nordamerika oft angegriffen, ließ sich von diesen Attacken aber nie beirren. Am 17. November starb Jimmie Durham, 81 Jahre alt, in Berlin.
Eine persönliche Würdigung seines Lebens von Claus Biegert.
Winter 1973 in South Dakota. Auf dem Reservat Pine Ridge stehen sich Ureinwohner und US-Streitkräfte gegenüber. Wounded Knee, Ort des letzten Massakers 1890, ist besetzt. Mitglieder des American Indian Movement haben auf Wunsch der traditionellen Lakota den mediengerechten Aufstand inszeniert, um Rassismus, Korruption, Verfolgung und Landdiebstahl zur Sprache zu bringen. Washington schickt Militär und FBI. Ein Wendepunkt, der die indianischen Völker vereint, wie kein Ereignis zuvor.
Frühling 1973 in der Schweiz. Unweit des Genfer Sees geht grübelnd ein junger Mann, 33 Jahre alt. Seit vier Jahren studiert er an der „Ecole des Beaux Arts“ in Genf, er stammt aus Arkansas, liebt das Reisen, hat einen indigenen Hintergrund, seine Eltern waren Cherokee, bei den Ahnen gab es Schotten und Franzosen. Die Cherokee waren nie Rassisten, stets offen gegenüber Einwanderern, daher ist helle Haut auch kein Makel. Der Wanderer heißt Jimmie Durham. Bevor er an diesem Tag seinen Heimweg antritt, sieht er neben der Straße einen überfahrenen Dachs liegen. Künstler sehen Fundsachen mit Künstleraugen, wollen ihnen in ihren Kreationen ein neues Leben einhauchen. Er häutet das Tier und trennt den Kopf ab. Während er mit Fell und Schädel hantiert, lautete die Botschaft, die er von dem toten Tier empfängt, Go home! Jimmie spürt sie mit allen Fasern. Wenige Tage später bucht er einen Flug über den Atlantik.
Warum hatte er überhaupt Nordamerika verlassen? 1975 konnte ich ihm in New York diese Frage stellen. Dies war seine Antwort: „Nach Europa bin ich hauptsächlich gegangen, um mich dort umzusehen und die Heimat der Weißen kennen zu lernen. Aus Amerika bin ich weg, weil es kurz nach der Besetzung der Gefängnisinsel Alcatraz* war und ich den Eindruck hatte, dass wir Ureinwohner einfach zu auseinander gerissen und verwirrt waren, um etwas auf die Beine zu stellen. Außerdem wollte ich nicht mehr in den USA sein. Als im Radio die Nachricht kam, dass Martin Luther King ermordet wurde, haben meine Arbeitskollegen in Texas geklatscht. Und dann dachte ich mir, ich habe eine helle Haut, warum versuche ich nicht, allem hier zu entfliehen und unter Weißen als Künstler ein angenehmes Leben zu führen. Also bin ich nach Europa und es hat anfangs auch ganz gut geklappt. Aber plötzlich ging es nicht mehr, ich konnte einfach nicht aufhören, Cherokee zu sein. Und dann kam 1973 Wounded Knee. Alles in der Schweiz sprach zu mir, die Felsen und die Dachse, alle ließen mich wissen, dass ich nach Hause zurück muss.“
Es war nicht nur der Dachs, räumt er ein, es gab noch eine kleine Geschichte:„Ich war in Südfrankreich, in der Region Languedoc, dort fand ich einen seltsamen Stein. Er sah aus wie eine Spinne. Ich nahm den Stein mit. Dann sammelte ich Pilze, sogenannte Schopftintlinge, die ich kochte und zusammen mit einem guten Rotwein zum Abendessen verspeiste. Plötzlich verwandelte sich der Stein in eine gefährliche Spinne, und ich dachte, mein Leben geht zu Ende. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, am Morgen war die Spinne wieder zum Stein geworden. Ich steckte den Stein in meine Tasche und wusste, ich muss zurück. Viele Jahre später erfuhr ich, dass diese Tintenpilze in Verbindung mit Alkohol eine halluzinogene Wirkung entwickeln.“
Wounded Knee war ein Sammelruf für alle Ureinwohner von Turtle Island. „Noch im selben Jahr kehrte ich in die USA zurück und versuchte von dort aus, soweit ich eben konnte, europäische Solidaritätsgruppen für unseren Kampf ins Leben zu rufen. Denn ich fühlte, dass wir in Europa eine Basis der Solidarität haben, wir wir sie in unserem Land nicht finden.“
Sein Gespür hatte ihn nicht betrogen. Die Basis der Solidarität besteht bis heute. Jimmie wurde bei seiner ersten Rückkehr in die Schweiz sofort aktiv, gemeinsam mit Aktivisten vor Ort und Enrique Manzo, Mapuche aus Chile, und Tomas Conde, Aymara aus Bolivien, gründete er 1974 die Initiative „Incomindios“, die bis heute ein Pfeiler europäischer indigener Unterstützungsarbeit ist. Mehr oder minder gleichzeitig übernahm er in New York die Leitung des International Indian Treaty Council (IITC), um von dort einen Anker auszuwerfen in die europäische Arena der internationalen Politik, zur UNO nach Genf.
Im Februar 1976 interviewte Claus Biegert Jimmie Durham und Russell Means (links) zusammen. (Photo: Claus Biegert)
Eine historische Zusammenkunft – the First International Indian Treaty Conference – auf dem Reservat Standing Rock in South Dakota im Juni 1974 war voraus gegangen; ein „International Indian Treaty Council“ wurde gegründet und Jimmie zu seinem Direktor ernannt. Das World Council of Churches in New York City gab dem Treaty Council ein Büro gegenüber der UNO. Dort traf ich ihn zum ersten Mal. Gehört hatte ich von ihm bereits, da mein Schulfreund Hans Angerer aus Murnau ebenfalls an der „Ecole des Beaux Arts“ studierte und mir oft von seinen Gesprächen mit Jimmie erzählte.
Als das IITC ein Logo suchte, ging Jimmie in die New Yorker Westside, in die 89.Straße. Dort wohnte der Illustrator Richard Erdoes, Immigrant aus Österreich und prominenter Unterstützer des American Indian Movement; er sprach sogar ein beschränktes Lakota. Erdoes war in der Welt der Ureinwohner (und der Völkerkunde) zu einer Berühmtheit erlangt, nachdem der Lakota-Medizinmann Takha Ushte (John Fire Lame Deer) ihn dazu überredet hatte, seine, Lame Deers, Biographie zu veröffentlichen. „Seeker of Visions“ wurde ein Bestseller – es war das erste Mal, dass ein Ureinwohner sich eines „weissen Mannes“ bediente, bisher war es immer umgekehrt gelaufen: Reservatsbewohner hatten unentgeltlich akademische Anthropologen-Karrieren begünstigt.
Zu ihm ging Jimmie, und Richard sagte, morgen könne er das Logo abholen. Ich war zufällig Zeuge, an diesem Nachmittag hatte ich ein Interview mit Richard geplant. Keine Zeit, sagte Richard, und ich durfte ihm dafür über die Schulter schauen, wie er durch den Doppelkontinent schräg eine Pfeife legte und damit klar stellte, dass der Radius des IITC über die USA hinaus gehen würde. Das Ganze wurde durch einen Kreis gehalten – Globus und Siegel in einem. Bis heute signalisiert das Treaty Council Logo die Einheit der indigenen Amerikas.
Logo des IITC
Zwei Jahre später wurden die Koffer für die Schweiz gepackt, von Alaska bis Amazonia sammelten Stammesführer, Klanmütter, Aktivisten ihre Papiere, ihre Familien, ihre beste Kleidung und flogen im September 1977 in die Schweiz. Zwei Jahre lang war Jimmie Durham zwischen Genf und New York City gependelt, um das Treffen zusammen mit ECOSOC (Economic and Social Council) vorzubereiten, war ein Bote zwischen den Welten, hatte Wünsche und Dokumente zusammen getragen und das Fundament gelegt für eine Zusammenkunft von historischer Dimension. Anfang September flog er zurück nach New York, der einwöchigen Konferenz an der UNO in Genf blieb er fern. Er habe seine Arbeit getan, sagte er mir, und wolle im Hintergrund bleiben und nicht einen Platz einnehmen, der den Hauptpersonen der Konferenz fehlen würde, zum Beispiel Winona LaDuke: Die junge Harvard-Studentin sah in ihm ein Vorbild und hatte sich für den Weg der Aktivistin entschlossen; in der UNO war sie in jenem September die jüngste Sprecherin. Ihr Thema: Uranabbau auf Reservatsland.
1975 eröffnete das International Indian Treaty Council sein Büro in New York. Jimmie Durham arbeitet in dieser Zeit eng mit Russell Means (links) zusammen, (beide Photo: Claus Biegert)
Ende der siebziger Jahre gab der Künstler und Menschenrechtler Durham wieder mehr Raum dem Künstler. Er sammelte Objekte an vielen Orten, fügte sie entgegen ihrer bisherigen Ordnung zusammen, schrieb Gedichte, mischte seine Texte mit den verwandelten Objekten, wurde zum Wanderer, zum Weltensammler; an seine Seite gesellte sich die brasilianische Künstlerin Maria-Thereza Alves, die er im Umfeld des Treaty Council kennen gelernt hatte. 1987 gingen beide nach Cuernavaca in Mexiko, 1994 nach Europa, erst Marseille, dann Berlin, später zusätzlich noch Neapel.
2002 besuchte ich ihn in Berlin, er hatte ein großes Atelier in Seelendorf, der Aktionskünstler und Fluxus-Gründer Wolf Vostell hatte es vor ihm 25 Jahre lang benutzt, ursprünglich war es für Adolf Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breeker erbaut worden. Seit er 1992 auf der documenta IX in Kassel vertreten war, gehörte Jimmie zur internationalen Kunstszene. Erwartungen, denen er dort begegnete, erfüllte er nie. Er wolle kein indianischer Künstler sein, sagte er, einfach ein Cherokee, der Sachen macht. Doch auch diese bescheidene Haltung sollte ihm mit wachsender Berühmtheit vorgeworfen werden.
Künstler, Aktivist, oder ist er beides? „Ich finde nicht, dass ich ein Künstler bin oder ein Aktivist, ich denke nicht in diesen Kategorien. Ich habe meine Karriere als Cowboy begonnen, denn ich konnte gut mit Pferden umgehen. Dann ging ich zum Militär. Damals hätte ich mich Mörder nennen können. Aber weder Cowboy noch Mörder fand ich als Beruf für mich passend. In den frühen sechziger Jahren schloss ich mich einer schwarzen Theatergruppe an. Ich schrieb Gedichte und und produzierte das, was man inzwischen Performance Art nennt. Ich machte keine bildende Kunst, sondern Theater und Poesie, aber ich hätte mich nie als Poet bezeichnet, das hätte in meinen Ohren angeberisch geklungen. Ich bin einfach einer, der Dinge macht. Es ist mein Leben.“
Indigener Dingemacher, Dingemacher mit indigenem Hintergrund oder ist er einfach Bildhauer und Autor? „Wenn ich eine Arbeit als Bildhauer mache oder Gedichte schreibe, dann tue ich es natürlich als Cherokee, aber es bedeutet nicht gleichzeitig, dass man der Arbeit ansieht, dass ich Cherokee bin. Denn wenn meine Sachen wie typische Cherokee-Sachen aussehen, dann würde ich ja nur Cherokee-Sachen kopieren. Ich denke an diesen wunderbaren alten Mann: Mario Merz. Seine Vorfahren kamen aus der Schweiz, aber er ist Italiener, ein wunderbarere Künstler, in dem viel Kraft steckt. Er ist durch und durch ein italienischer Künstler. Aber das bedeutet nicht, dass er italienische Kunst produziert, es bedeutet einfach, dass er als Italiener Kunst macht.“
Einige Zeit später fügt er an: „1974 waren wir in Lincoln, Nebraska bei den Wounded Knee Prozessen. Immer wenn ich Zeit fand, habe ich in meinem Zimmer kleine Sachen gemacht: Federzeichnungen mit Tusche, Collagen auf Papier und auf Stoff. Und dann klopfte Roger Iron Cloud einmal an und sagte: Du gehst immer auf dein Zimmer und machst deine Sachen, warum zeigst du sie uns nicht? Warum bist du so egoistisch und versteckst sie? Warum bringst du sie nicht in den großen Raum, in dem wir arbeiten? Dann nahm er einige und hängte sie auf, und ich gab ihm schließlich alle. Ich war so glücklich. Ich fühlte mich mit meinen Sachen nützlich.“
Das Schweizer Dachsfell von 1973 ist plötzlich in unserer Unterhaltung: „Ich hatte es aufgehoben. Und als ich unerwartet zur documenta IX eingeladen wurde, nahm ich das Fell 1992 mit nach Kassel und machte damit ein Stück im Freien. Nach fast zwanzig Jahren war das Dachsfell wieder in Europa, wo es herkam. Ich habe es in Kassel gelassen.“
Tiere haben immer wieder ihren Auftritt in seinen Arbeiten. Er collagierte die Wirklichkeit und verband Dinge, die nicht zusammen gehörten und öffnete uns damit die Augen für eine Welt, die aus den Fugen geraten ist und in der die Zusammenhänge zerrissen sind, weil wir unsere Grenzen überschritten haben. Archaische Stierschädel an Möbeln, Bärenkörper auf Kanalrohren: Mit Gewalt holen wir die Natur in unsere künstliche Welt, mit Gewalt wird die Natur eines Tages reagieren. Dieser Tag der Revanche ist in jeder seiner Installationen gegenwärtig. Es sind Signale des Erinnerns in einer Zeit des Vergessens, des Innehaltens in einer Zeit des Eilens. Und die Gewalt, mit der Menschen sich andere Wesen zu eigen machen, ohne sie zu verstehen, gleicht für Durham der Gnadenlosigkeit des fortgesetzten Genozids an den indigenen Völkern. „Wenn ich lese, dass Venezuela den Yanomami Land geben will, dann muss ich sagen, dass der Staat Venezuele gar nicht über Land verfügt, das er den Yanomami geben könnte. Allein die Yanomami haben Land, das sie Venezuela oder Brasilien geben könnten. Es ist immer eine Frage der Betrachtung und eine Frage der Macht. Wir Ureinwohner in den beiden Amerikas werden nicht als Menschen mit Rechten betrachtet. Was gesteht man uns denn überhaupt zu? Wahrscheinlich nur Federn.“
Diese Federn verbindet Durham in einer Vitrine zum Beispiel mit fingierten Artefakten, die durch den Titel „On Loan…“ vermeintliche Authentizität und historische Bedeutung erhalten sollen. Natürlich dürfen auch „echte“ Pfeilspitzen oder „Skalphaare“ nicht fehlen, und als besondere Zugabe ziert die Vitrine ein blutroter Handabdruck des Künstlers – ausgewiesen als „Real Indian Blood“.
Im Neolithikum saßen wir am Feuer und warfen die abgenagten Knochen hinter uns; hinter uns waren sie dann noch Nahrung für andere, zuletzt düngten sie den Boden. Und der Kreislauf begann von neuem. Mit einem Mal waren es keine Knochen mehr, wenn auch die Bewegung die gleiche geblieben ist: in hohem Bogen weit weg, was wir nicht mehr brauchen können! Hinter uns liegen Berge von Kunststoffen auf kontaminierten Böden, schwimmen auf kontaminierten Wellen, genauer gesagt, wir sitzen bereits drauf, da der Raum hinter uns nichts mehr aufnimmt. Es ist auch die Welt des Mülls, in der der Mann-der-Sachen-macht stochert.
Die Gemeinschaft Durham-Alves war eine bemerkenswerte Künstler-Verbindung: Zwei geniale, kreative Köpfe geben einander Impulse, kooperieren, pendeln auseinander, stoßen wieder zusammen, tauchen im Werk ihres Gegenübers auf, ergänzen einander, fordern sich heraus. Jimmie und Maria-Thereza waren ein Duo, das mit Impulsen und Ideen Ping-Pong spielte, Maria-Thereza als Filmschaffende sorgte dabei für bewegte Bilder. Dazwischen wandten sich beide immer wieder eigenen Inszenierungen zu.
Beiden eigen: unsere gewohnte Sicht der Dinge auf den Kopf zu stellen; bei beiden im Fokus: post-koloniale Spuren. Bewegen wir uns doch in einer Welt, deren Rohstoffe, Güter, Gebäude, Produkte das Ergebnis von Plünderungen sind – und wir Kinder einer Piraten-Zivilisation. Maria Therezas interdisziplinäre Arbeit „Seeds of Change“ sei hier stellvertretend für ihr Oeuvre hervorgehoben: Sie untersuchte fremde Erde nach fremden Samen. Europäische und amerikanische Schiffe hatten im 16., 17. und 18. Jahrhundert Erde und Geröll als Ballast geladen, wenn sie nach einem Sklaventransport aus Übersee leer in ihren Heimathafen zurück kehrten. Der Ballast wurde dann in Hafennähe abgeladen. Dieser Abraum aus fernen Ländern (sei es New York City, sei es Liverpool) beherbergte unbekannte Samen: Zeugen der Grausamkeit. Diesen Samen gab sie Sichtbarkeit, indem sie mit ihnen eine Flora des Kolonialismus und der frühen Globalisierung anlegte.
Jimmies Ehrungen zeigen, dass seine Bildsprache verstanden wurde: Nach der Einzelausstellung im MOMA in New York kam 1992 die Einladung zur Documenta IX 1992 , gefolgt von der doCUMENTA 13 zwanzig Jahre später, da pflanzte er einige Monate vorher einen Arkansas Black Apple im früheren Obstgarten des Staatsparks Karlsaue. Dazwischen gab es auch eine Professur in Malmö. 2016 entschied sich die Jury des Goslaer Kaiserrings für ihn. Der Kaiserring wird seit 1975 verliehen (Henry Moore war der erste Träger) und gilt weltweit als einer der renommiertesten Kunstpreise. Häufig war Durham
in der Biennale von Venedig oder deren Umfeld anzutreffen; 2019 wurde ihm dort der Goldene Löwe für sein Lebenswerk überreicht. Ausstellungen gab es europaweit und schließlich auch wieder in den USA, Hammer in Los Angeles, Whitney in New York, Walker in Minneapolis.
Mit dem Ruhm kamen Vorwürfe und Proteste, kritische Beobachter interpretierten sie als Neid. Die Stammesregierungen der Cherokee-Nation sowie verschiedene Cherokee-Künstler gaben zu Protokoll, Durham habe kein Recht, sich als Cherokee zu bezeichnen, man finde seinen Namen in keinem Cherokee-Register. Stimmt, sagte Jimmie, seine Familie habe sich der Registrierung entzogen.
Die sogenannte Tribal Roll geht zurück auf den General Allotment Act 1887, der die Stammesmitglieder erfasste und verbliebenes Indianerland pro Kopf parzellierte und so sein Schrumpfen vorantrieb. Es war ein koloniales Instrument, keine Zuweisung irgendeiner Art von Souveränität.
Stammesland sollte in Privatland verwandelt werden, Privatbesitz war den indigenen Gesellschaften jedoch fremd. Wer das koloniale System der Registrierung ablehnte, wurde bestraft, indem er nicht aufgeführt wurde.
Die pan-indianische Zeitung „Indian Country Today“ veröffentlichte im Juni 2017 den offenen Brief der Cherokee-Kritiker. Er war überschrieben mit „Dear Unsuspecting Public: Jimmie Durham is a Trickster“. Ich kann mir vorstellen, wie Jimmie gelacht haben muß, als er das las. Trickster, das war ja genau, was er war: der Stammesclown, der Hofnarr, der Freigeist, der uns einen Spiegel vorhält, der unser Verhalten aufs Korn nimmt. Bei den Lakota heißt der Trickster Heyoka, übersetzt: der Heißkalte, der Vorwärtsrückwärts, der das Pferd rückwärts besteigt und sich am Schweif festhält. Es gehört zum Wesen des Tricksters, sich nicht einordnen zu lassen.
Die Jury von Goslar erkannte seine Tricksternatur, als sie 2016 urteilte, er könne „keiner künstlerischen Bewegung zugeordnet werden, sondern geht über alle vorhandenen Klassifizierungen hinaus. Seiner permanenten Forderung nach Freiheit folgend, trachtet der Künstler stets danach, jeglichem hierarchischen System zu entkommen.“ Dazu O-Ton Jimmie Durham: „Wenn Architektur das Lineare predigt, dann arbeite ich gegen das Lineare. Wenn Architektur den Stein als Fundament preist, dann hebe ich als Antwort einen Stein vom Boden auf und werfe ihn.“ Als er erfuhr, dass die von Hitler in Schweden bestellten Steinblöcke für Albert Speers Triumphbogen für die Hauptstadt „Germania“ dort immer noch im Steinbruch lagen, wollte er sie kaufen und in der Ostsee versenken lassen, damit sich an ihnen neues Leben ansiedele; er fand aber keine Mäzene oder Stiftungen, die seinen Plan finanzieren wollten. „Vielleicht gehört es zu mir, immer das Gegenteil zu machen, die Dinge umzudrehen, das Unerwartete zu liefern.“ Wenn das kein Trickster-Bekenntnis ist! „Ich habe zwei Triumphbögen zum persönlichen Gebrauch gemacht. Einer ist aus Metall und hat zwei Räder. Man kann ihn zusammenfalten und wieder aufbauen, falls man einen Moment des Triumphs erlebt hat. Man kann durchmarschieren und ein Lied pfeifen. Der andere ist aus Holz und ebenfalls zum Zusammenklappen. Er braucht keine Räder, man kann ihn auf die Schulter nehmen. Ich bin mehr an Bewegung interessiert als an Denkmälern.“
Der Weltensammler schrieb viel, 13 Büchlein sind es, gefüllt mit Geschichten, Gedichten und Essays, unter Kunstfreunden geschätzt, außerhalb der Szene wenig bekannt. „Columbus Day“ (1983), „A Certain Lack of Coherence“ (1993), „Poems That Do Not Go Together”(2012), “Social Medium: Artists Writing, 2000 – 2015” (2017). Sie kamen allein oder begleiteten Ausstellungen. In seinem letzten Opus „ God’s Children, God’s Poems“ widmet er sich unserem Umgang mit der Tierwelt und kommt zu dem Schluß: „wie es derzeit ausschaut, wird die Erde Millionen von Jahren benötigen, um unsere Fußabdrücke loszuwerden.“
2012 verwandelten Jimmie und Maria-Thereza in der Altstadt von Neapel ein Fabrikareal in einen Kunst- und Arbeitsraum. An der Wand in der Kochecke (Jimmie liebte zu kochen) hängt ein gerahmte, handgeschriebene Feststellung: HUMANITY IS NOT A COMPLETED PROJECT. Humanity: Ist es nicht das große interdisziplinäre Projekt, an dem Jimmie und Maria-Thereza mitgewirkt haben?
*Die Gefängnisinsel Alcatraz vor der Küste von San Francisco wurde von November 1969 bis Juni 1971 von indigenen Aktivisten besetzt, die sich „Indians of All Tribes“ nannten.
Tlunhdatse, 1985, mixed media - eine typische Installation von Jimmie Durham Photo: Nicole Klagsbrun
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