07-12-2023
Ideologische Wut?
Die Änderung eines Ortsnamens in der autonomen Region Aosta in Italien sorgt für hysterische Aufregung.
Von Wolfgang Mayr
Wer kennt schon Breuil in der aostanischen Gemeinde Valtournenche? Bekannter ist der Ort unter dem italienischen Namen Cervinia, ein Mekka der Skifahrenden. Der Gemeinderat von Valtourneneche entschied, den amtlichen Doppelnamen Breuil-Cervinia abzuschaffen. Wie im Autonomiestatut der Region Aosta vorgesehen, wie von der Regionalregierung beschlossen. Also nur mehr Le Breuil.
Aosta wurde erst 1861 Teil des italienischen Königreichs, seit dem 11. Jahrhundert stand das francoprovenzalisch-französische Aosta unter der Kontrolle von Savoyen. Das Aostatal blieb lange wegen seiner Abgeschiedenheit eine zusammenhängende französische Sprachinsel. Erst mit der faschistischen Machtübernahme 1922 setzte eine Italianisierungswelle ein, das Regime ließ Menschen aus anderen italienischen Regionen in Aosta ansiedeln. Alle Ortsnamen wurden italianisiert, wie auch Le Breuil, daraus wurde Cervinia.
Die Aostaner leisteten in der faschistischen Diktatur auch militärischen Widerstand, Hilfe kam aus Frankreich von General De Gaulle. Italienische antifaschistische Partisanen und Faschisten kollaborierten trotz ihrer Feindschaft in einer nationalistischen Allianz gegen die aostanische Widerstandsbewegung.
Die nach dem Kriegsende gebildete All-Parteien-Regierung reagierte besorgt auf die Allianz zwischen Aosta und Frankreich und gewährte der kleinen Region eine weitereichende Autonomie. Eine der ersten Maßnahme war die Rücknahme der faschistischen Ortsnamens-Dekreteund die Wiederherstellung der traditionellen Namen. Mit einer Ausnahme, Breuil-Cervinia.
Der bei italienischen Touristen und Skifahrern beliebte Ferienort verliert seinen bekannten „italienischen“ Ortsnamen, eine der wenigen faschistischen Zumutungen, die bis heute erhalten geblieben sind, kommentierte Simon Constantini auf brennerbasisdemokratie. Die aostanische Art der Entkolonialisierung, die für hysterische Aufregung im rechten Lager sorgte. Wahnsinn, titelten die rechten Zeitungen und tönten die rechten Politiker. Verkappte Nationalisten warnten vor dem bürokratischen Aufwand, tun dies auch in Südtirol und im Trentino.
„Cervinia ändert seinen Namen und ich verstehe nicht, warum. Eine so drastische Änderung kann dem Tourismus und dem Image des gesamten Aostatals nur schaden“, warnte die umstrittene Tourismus-Ministerin Daniela Santanche von den neofaschistischen Fratelli d´Italia. Die Ministerin versteckt ihre politische Ablehnung hinter wirtschaftlichen Bedenken. Ihr Partei-Kamerad Alessandro Urzi, er sitzt für die Fratelli im Verfassungsausschuss der Abgeordnetenkammer und ist Vorsitzender der bilateralen Autonomie-Kommission für Südtirol, unterstellte den aostanischen Politikern „ideologische Wut“. Die Umsetzung von Verfassungsrechten ideologische Wut?
Die auch in Südtirol geforderte der Abschaffung der kolonialen Toponymie wird nicht nur von der italienischen Rechten abgelehnt, auch die linken Parteien legten und legen sich quer. „Lieber hinzufügen als entfernen“, lautet das Mantra.
Widerstand gibt es auch in Aosta, im Tourismus beispielsweise. Auch unter den Einwohnern gibt es Bedenkenträger wegen der bürokratischen Formalitäten, Ausweisdokumente aktualisieren, Straßenschilder ändern, usw. Beleidigte italienische Cervinia-Fans starteten gleich mehrere Internet-Petitionen, ihre Forderung, die Beibehaltung des alten Namens.
Die Kampagne wirkte, die Bürgermeisterin und die lokale Liftgesellschaft sprachen sich dafür aus, zu Cervinia zurückzukehren. Die Regionalregierung gab klein bei. Die Verteidiger des italienischen Ortsnamens zitierten die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 ore, wonach Le Breuil mehr als fünf Jahre allein auf dem italienischen Markt mindestens fünf Millionen Euro pro Jahr hätte investieren müssen, um den neuen Namen annähernd so bekannt zu machen wie Cervinia.
Auch das CSU-Blatt „merkur“ griff genüsslich den Namensstreit in Aosta auf, mit unübersehbarer rechter Schlagseite. Rechtsradikale Politiker dürfen sich verächtlich über aostanische Politiker auslassen, die sich anmaßen, ein Verfassungsgesetz umzusetzen. Die „Merkur“-Sympathie für die italienische Recht verwundert keineswegs, die aostanischenAutonomisten verorten sich mitte-links. Für den „Merkur“ offensichtlich ungeheuerlich. Ganz im Sinne des CSU-Europaparlamentariers Manfred Weber, der sich im spanischen Streit um die Amnestie für katalanische UnabhängigkeitspolitikerInnen auf die Seite der spanischen Rechte stellte, dezidiert gegen Katalaninnen und Katalanen.
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