„Heim ins Reich“

Putin sammelt „russische“ Erde ein. Wo Russen leben, scheint Russland zu sein, das Leitmotiv des völlig enthemmten Eroberungskrieges in der Ukraine.

Von Wolfgang Mayr

In den 1990er Jahren tönte es aus Belgrad, überall dort, wo Serben begraben sind, ist Serbien. Deshalb marschierte die „Jugoslawische Volksarmee“ zuerst in Slowenen ein, dann in Kroatien, weniger später in Bosnien und im Kosovo. Groß-Serbien war das Ziel, formuliert im von der Serbischen Akademie der Wissenschaften. Das Memorandum war das Handbuch der serbischen Nationalisten, nicht serbische Landesteile zu erobern.

Der russische Kriegspräsident Putin handelt ähnlich. In einer „geschichtlichen Abhandlung“sprach Putin der Ukraine die staatliche Souveränität ab, die Ukraine ist keine Nation.

Seine Militärwalze wurde zwar in der Zentral- und Nord-Ukraine gestoppt, dafür wütet sie jetzt umso mehr im Süden des Landes. Der östliche Teil, der Donbass ist schon unter russischer Kontrolle. Es nur mehr eine Frage der Zeit, bis das völlig zerstörte Mariupol fällt, anschließend Odessa, westlich der Krim.

Auf seiner Pressekonferenz sagte es General Rustam Minnekayev recht deutlich, das Land vom Donbass bis zur Grenze zu Moldawien soll „befreit“ werden. Die Ukraine verliert damit auch ihren Zugang zum Meer. Das sind keineswegs irrwitzige Gedankenspiele des russischen Militärs. Nicht nur Mariupol steht auf der Liste der Eroberungen, auch Odessa, um dann weiter in Richtung Republik Moldau zu marschieren.

Der ukrainische Präsident Selenskyj schlug deshalb Alarm, warnte eindringlich vor dem Westmarsch der russischen Truppen, westliche Reaktionen blieben aber aus. In Moldawien wartet die russische Bevölkerung – wie einst im ukrainischen Donbass – auf den Anschluss an Russland. Transnistrien, eine Region zwischen dem Fluss Dnestr und der ukrainischen Grenze, erklärte sich 1990 für unabhängig. Die Garanten dafür sind die 1.500 Soldaten der ehemaligen 14. Sowjetischen Armee und weitere 15.000 hochgerüstete pro-russische Milizionäre.

Transnistrien ist so groß wie Luxemburg, zählt eine halbe Million Einwohner. Ein Drittel sind Moldawier, ein weiteres Drittel Russen, das restliche Drittel Ukrainer. Während die Republik Moldawien, ähnlich wie die Ukraine, das demokratische Experiment wagte, igelte sich die pro-russische Elite von Transnistrien in die sowjetische Vergangenheit ein und will heimgeholt werden, in die russische Föderation. Moldawien samt Transnistrien erlebte eine Russifizierung wie auch die Ukraine, diese Dnestr-Republik ist eine Mini-Ausgabe der Sowjetunion. Die Korruption ist weit verbreitet, die Menschenrechte werden als Luxus empfunden.

Dorthin also will die russische Armee, die derzeit mit äußerster Härte gegen die Zivilbevölkerung in der Süd-Ukraine vorgeht, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten gezielt attackiert. Sie sollen laut russischer Informationspolitik militärische Anlagen sein.

In der Republik Moldau ist man deshalb auch zutiefst besorgt. Die russische Armee wird sich wahrscheinlich nicht nur mit der Annexion von Transnistrien zufriedengeben, befürchtet die Regierung, sondern die kleine Republik überrollen.

Im Schatten der Ukraine versuchte die Republik Moldau ihren Weg in Richtung Westen zu finden. Die seit Dezember 2020 amtierende Präsidentin Maia Sandu strebt die Aufnahme ihres Landes in die EU an. Seit 2014 gibt es bereits Assozierungsabkommen. Eine frappierende Ähnlichkeit mit der Ukraine. Die EU ließ die Ukraine im Stich, wie Mazedonien oder Bosnien auch. Ein russischer Überfall auf Moldawien ist deshalb nicht ausgeschlossen.

Nicht nur Transnistrien ist im Visier Russlands, die ganze Republik Moldawien, einst eine sowjetische Teilrepublik, steht auf dem russischen Menü. Eine Unterstellung, aber nicht ganz unrealistisch.

Unrealistisch klingt der russische Wunsch einer Landbrücke zwischen Weißrussland und der russischen Exklave Kaliningrad. Das ehemalige nördliche Ostpreußen, der heutige Oblast, liegt zwischen Polen und Litauen. Der Wunsch nach einer solchen Landbrücke wurde bereits vor zwei Jahren formuliert.

Der Oblast ist hochgerüstet, die Ostsee-Flotte liegt im Hafen von Kaliningrad, Landstreitkräfte und die Luftwaffe mit Kampfjets, Bombern und Helikoptern sind dort stationiert. Installiert ist im Oblast auch ein Frühwarnsystem. Dem nicht genug. 2018 wurden die nuklearwaffenfähigen Iskander-M-Raketen positioniert.

Der Oblast entspricht einem Drittel der Schweiz und zählt eine Million EinwohnerInnen. Die Exklave ist für das russische Kriegsministerium ein wichtiger Stützpunkt außerhalb Russlands, in der NATO. So wichtig, um militärisch einen Landweg zu erzwingen, mit einem „Sondereinsatz“?

Der Krieg in der Ukraine darf in Russland nicht Krieg genannt werden. Kriegspräsident Putin geht jetzt noch einen Schritt weiter, er löscht die Ukraine begrifflich aus. Die Ukraine darf nur mehr Neu-Russland bezeichnet werden.

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