Gebt die Souveränität auf

Nur die ukrainische Niederlage sichert den Frieden in Europa

Von Wolfgang Mayr

Kurz und bündig formuliert, die Thesen von Hajo Funke und Michael von der Schulenburg zum russischen Krieg in der Ukraine. Doch der Reihe nach. Es ist nachvollziehbar und verständlich, dass Israel nicht auf westliche Solidaritätsbekundungen setzt. Die Israelis verlassen sich auf die Stärke ihrer Armee. Auch wenn diese derzeit einen unverhältnismäßig brutalen Krieg gegen die Menschen in Gaza führt, geht es um Selbstverteidigung. Der 7. Oktober manifestierte auf eine brutale Weise, wie angreifbar Israel ist. Viele der derzeit Aufgebrachten gingen nicht gegen die Hamas-Massaker auf die Straße. Sie wurden hingegen als Folge der israelischen Politik in den besetzten Gebieten – Gaza ist seit 2005 nicht mehr besetzt und wird von der Hamas diktatorisch geführt – als natürlicher Widerstand verharmlos. Die Israelis sind selber schuld, die Botschaft. 

Eine solche Botschaft verbreiteten auch Hajo Funke und Michael von der Schulenberg in der TAZ. Sie empfehlen dem Westen, endlich Diplomatie zu wagen. Funke und von der Schulenberg sind überzeugt, dass der russische Kriegspräsident Putin sehr wohl verhandeln will. Funke, der hochverdiente Forscher und Aktivist und von der Schulenburg, ein ehemaliger deutscher Diplomat, haben wohl nicht hingehört, was Putin auf seiner aufgemotzten Propaganda-Show Jahrespressekonferenz von sich gab. Die Ukraine müsse entwaffnet und entnazifiziert werden. Erreichen wolle er dieses Ziel mit der Eroberung weiterer Gebiete und über Scheinverhandlungen. Die Botschaft aus Moskau an die Ukraine, sie müsse die neuen territorialen Realitäten anerkennen, ihre Truppen zurückziehen, dann könnte ein Ende der Kämpfte in Betracht gezogen werden.

Diese doch recht unmissverständlichen Ansagen bekümmern weder Funke noch von der Schulenberg. So wie pro-palästinensische AktivistInnen Israel und seine Politik für palästinensische Terror-Anschläge und die Hamas-Massaker verantwortlich machen, beladen die beiden Autoren die Ukraine und den Westen mit Verantwortung und Schuld für den russischen Eroberungskrieg in der Ukraine. Die Ukraine habe im Vorlauf des Krieges den Konflikt mit Russland eskaliert, die NATO mit ihrer militärischen Hilfe für die Ukraine zur angeblichen Eskalation beigetragen. 

Kriegstreiber NATO?

Detailliert belegen Funke und von der Schulenberg ihre Argumente. So habe der ukrainische Präsident Zelenskyj 2021 mit seinem Befehl der Befreiung der russisch annektierten Krim Russland provoziert. Diese Provokation verschärfte die Ukraine mit der Unterzeichnung eines Vertrages über die militärische Zusammenarbeit mit den USA und mit der NATO. Eine sagenhafte Unerhörtheit eines souveränen Staates, der seine territoriale Einheit wieder herstellen möchte. Ungeheuerlich für beide Autoren.

Die zwei Autoren werfen der NATO und dem Westen vor, mit Russland auch nicht über den im Dezember 2021 vom Kreml vorgelegten Vertragsentwurf mit Vorschlägen für Sicherheitsgarantien für beide Seiten verhandelt zu haben. Der kaltschnäuzige Westen lehnte gar das russische Ansinnen ab. Mit dem Vertrag wollte Russland den NATO-Beitritt der Ukraine verhindern. Was für eine ukrainische Anmaßung, in freier Entscheidung der NATO beitreten zu wollen. Wohl eine nächste Provokation. Anders formuliert, Russland musste dann wohl zur Notwehr greifen und die Ukraine überfallen?

Während Funke und von der Schulenberg der Ukraine legitime Sicherheitsinteressen absprechen, weil offensichtlich nur ein Vorhof Russlands, müssten die legitimen Interessen des souveränen Russlands anerkannt werden. Russland fühle sich bedroht, weil die USA schon 2001 Rüstungskontrollabkommen einseitig aufgekündigt hätten. 2001, nicht 2022.

Die USA kündigten nicht nur Rüstungskontrollabkommen auf, sondern drangen mit ihrer Raketenabwehr bis nach Polen und Rumänien vor. Zwei NATO-Staaten, die auf Schutz drängten vor den russischen interkontinentalstrategischen nuklearen Zweitschlagsystemen. Die US-amerikanischen Abwehr mache somit die russische Abschreckung wirkungslos, zeigen sich die Autoren verständnisvoll für die russische Position.

Die Schandtaten der USA und Großbritanniens reichen noch weiter. Sie hätten einen möglichen Frieden zwischen der überfallenen Ukraine und dem Aggressor Russland verhindert. Sie blockierten das ausverhandelte Abkommen. NATO und EU – eigentlich rechtes Geraune – handelten auf Befehl der USA, die kein Interesse an Verhandlungen und einem Waffenstillstand gezeigt haben sollte. Der Westen ist schuld am Krieg in der Ukraine.

Funke und von der Schulenberg stellen fest, dass sich das militärische Patt zuungunsten der Ukraine verändert. Damit drohe eine existenzielle Gefahr für die Ukraine. Zweifelsohne, eine russische Gefahr. Trotzdem werfen die Autoren dem Westen Realitätsverweigerung vor, wenn er weiterhin auf Waffenlieferung setze. Fakt ist, dass trotz feierlich gegebener Versprechen nie die notwendigen Waffen zur effektiven Verteidigung und zur gelingenden Offensive geliefert wurden. Immer nur so viel, um Stand halten zu können. 

Zelenskyj, das Friedenshindernis?

Die Autoren haben Präsident Zelenskyj als das Hindernis für Verhandlungen und Frieden ausgemacht. Er halte am Krieg fest, obwohl die Unterstützung der Bevölkerung nachlasse. Fakt ist, dass sich laut letzten Umfragen noch immer eine Mehrheit für den militärischen Widerstand ausspricht.

Funke und von der Schulenberg wiederholen Aussagen, die durch das ständige Wiedergeben nicht inhaltlich richtiger werden. Einerseits sehen die Autoren Russland auf der Siegerstraße, andererseits gehen sie davon aus, dass dieser Krieg von keiner der Konfliktparteien zu gewinnen sei. Was nun? Er hätte abgewendet und frühzeitig beendet werden können, sind Funke und von der Schulenberg überzeugt, wie auch der Philosoph Habermas. Eine besondere Art der intellektuellen Realitätsverweigerung. Laut Putin darf es nämlich keine unabhängige Ukraine geben, weil es keine Ukraine gebe. Putin spricht dieser Nation ihre Existenzberechtigung ab. 

Funke und von der Schulenberg empfehlen Europa, den Weg zurück zu einer gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsordnung zu finden. Wie sie in der Charta von Paris von den europäischen Staaten, den USA und Kanada ratifiziert wurde. Russland führt auf dem europäischen Kontinent schon lange Krieg, gegen Tschetschenien, gegen Georgien, bedroht die Republik Moldau, überfiel die Ukraine und besetzte ein Fünftel des Landes. Russland verließ damit die gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung. 

Ihre These für Verhandlungen mit Russland begründen die Autoren auch mit Umfragen, wonach eine übergroße Mehrheit für eine Außenpolitik „vorwiegend diplomatischer Natur“ plädiert. Also keine Waffenlieferungen mehr an die Ukraine. Das bedeutet in seiner letzten Konsequenz, dass die russische Eroberung der Ukraine erfolgreich sein wird. Vielleicht darf dann die deutsche Außenpolitik den russischen Diktatfrieden mit Euro-Milliarden abfedern, für den Wiederaufbau des von Russland niedergebombten Landes. Russland wird sich über die Empfehlungen wahrscheinlich tierisch freuen.

Russland hält an Kriegszielen fest

Diese obige These untermauern Funke und von der Schulenberg mit dem Argument, dass ein Frieden nur mit Russland und nicht gegen Russland möglich ist. Ja, Russland könnte sich aus der Ukraine zurückziehen, auch von der Krim. Dann herrscht Frieden. Russland hat dies aber keineswegs vor.

Die Autoren haben in ihren Projektionen die Ukraine bereits ausgelöscht. Denn, „Russland bleibt allein schon geografisch gesehen unser Nachbar“. Sind nicht Polen und Tschechien die geographischen Nachbarn? Dahinter folgt die Ukraine, die Russland zerschlagen will. Putin und sein Sicherheitsberater Medwedew halten an den öffentlich verkündeten Zielen der „Sonderoperation“ fest, an der Zerschlagung der Ukraine. Damit rücke Russland tatsächlich als Nachbar geographisch näher an Deutschland. 

Funke und von der Schulenberg erinnern an den Vorstoß des „Globalen Südens“, den auch ökonomisch desaströsen Kriegs beenden zu wollen. Die Wortführer des „globalen Südens“, Brasilien, Südafrika und China sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, für einen Waffenstillstand, für Friedensverhandlungen. Von einem Rückzug der russischen Armee und ihrer privaten Killerkommandos aus besetzten und annektierten ukrainischen Gebieten ist nicht die Rede. Der „globale Süden“ ermuntert also die Ukraine zur Aufgabe des Widerstandes, sich zu ergeben, sich Russland unterzuordnen. Wahrscheinlich meinen das auch die beiden Autoren, die verklausuliert der militärischen Kapitulation der Ukraine das Wort reden. Diese ungeheuerliche Vermutung äußern Funke und von Schulenberg in der von den USA und der NATO gesicherten Bundesrepublik. Was für eine unglaubliche antihumanitäre egoistische Arroganz. 

Die Autoren fürchten, dass ohne Verhandlungen und Waffenstillstand der permanente Krieg in der Ukraine – tatsächlich will Putin weitere fünf Jahre die Ukraine mit seinem „Sondereinsatz“ überziehen – Europa schwäche und letztendlich zerstöre. Auch das zählt zum außenpolitischen Programm Russlands, dem größten Staat der Welt, der von der organisierten Kriminalität in Geiselhaft gehalten wird. Die europäische Politik der Putin-Regierung zielt auf die Zerschlagung der EU ab. Das Regime finanziert rechte Parteien – das Spektrum reicht von rechtspopulistisch bis zu neofaschistisch – in den EU-Mitgliedsländern, die die Auflösung der Union anstreben. Das Putin-Regime arbeitet seit Jahren schon auf eine Schwächung und Zerstörung Europas hin.

Wie werden die verständnisvollen Thesen von Funke und von der Schulenberg lauten, wenn die Volksrepublik China nach den Parlamentswahlen auf Taiwan am 13. Januar 2024 die Insel überfällt? Heimholung ins Reich? Militärische Notwehr gegen die Bedrohung durch die USA? Abtrünnige Provinz diszipliniert?

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