Gaza und Darfur

Über die Verlogenheit der „selektiven Aufmerksamkeit“

Von Wolfgang Mayr

Thomas von der Osten-Sacken vom Verein wadi, seit Jahren engagiert für die kurdische Bevölkerung im Nord-Irak, wundert sich über die „selektive Aufmerksamkeit der selbsternannten Menschenrechtsfreunde“. Weltweit, fast täglich, demonstrieren auf Straßen und Plätzen Menschen gegen Israel und seinem Krieg in der Großstadt von Gaza. 

Seit dem Einmarsch seiner Armee steht Israel in der Kritik, da ist von Kindermorden, von Völkermord die Rede. Zurecht steht die israelische Feuerwalze in der Kritik. Die sogenannte Zivilgesellschaft in den westlichen Ländern richtet ihre Aufmerksamkeit auf Gaza. 

Überraschend, wie emotional gegen Israel protestiert und demonstriert wird. Ukraine? Kein Thema für diese Zivilgesellschaft, der russische Krieg ist aber gefährlicher als der Krieg in Gaza, kommentiert der dezidiert linke private Sender Radio Dreyeckland. Der linke Sender geißelt die Antisemiten vor Ort, die Mitglieder der israelitischen Gemeinde beschimpften, weil sie Fotos der von der Hamas entführten Geiseln an Plakatwänden in Freiburg anbrachten. 

Selektive Aufmerksamkeit? Das scheint in Europa Tradition zu haben. Es dauerte lange, bis es Solidarität für die bosnischen Opfer während des „Jugoslawien“-Krieges gab. Frauenverbände schwiegen lange, trotz der Massenvergewaltigungen serbischer Milizionäre. Europa schwieg, als in Syrien russische Bomber Blutbäder anrichteten, türkische NATO-Soldaten Kurden aus ihrer Enklave Efrin in Nord-Syrien und die aserbaidschanische Armee Armenier aus Arzach vertrieben.  

Ja, selektiv werden Verbrechen wahrgenommen. Der 7. Oktober ist ein drastisches Beispiel dafür, die Massaker der klerikalfaschistischen Hamas in Israel. „Wochenlang schwieg die UNO inklusive ihrer relevanten Gremien zu den sexuellen Verbrechen der Hamas. Das hat sich inzwischen geändert, doch aus Sicht der israelischen Wonder-Woman-Darstellerin Gal Gadot hat die Welt die Frauen verraten und im Stich gelassen,“ analysierte Antje C. Naujos „Im Namen der Opfer: Israels Frauen rütteln wach“ auf mena-watch. 

Diese Hamas-Verbrechen werden verdrängt oder als Folge israelischer Politik verharmlost. Die israelische Polizei-Einheit Lahav 433 untersucht die sexuelle Gewalt, die Vergewaltigungen, die auch Thema waren einem Ausschuss der Knesset „Frauen jeder Altersgruppe wurden vergewaltigt. Es fanden zudem Gruppenvergewaltigungen statt, die in mehreren Fällen so gewalttätig waren, dass Frauen, wie Gerichtsmediziner bestätigten, die Beckenknochen gebrochen wurde. Mädchen, Frauen und Seniorinnen wurden gefoltert und verstümmelt, wobei man nicht sagen kann, ob dies vor oder nach ihrer Hinrichtung durch die Hamas-Täter geschehen ist.“

Die westliche Solidarität mit diesen Opfern, mit den Frauen, blieb aus. Ja, aber, die Reaktion auf die Frage, warum diesen Opfern die kalte Schulter gezeigt wird. Thomas von der Osten-Sacken findet: „Die verhaltene Resonanz der westlichen Intellektuellen gegenüber Ländern wie Afghanistan oder dem Sudan wirft die Frage auf, ob sie sich wirklich für die Menschlichkeit einsetzen oder eher von politischen Motiven geleitet werden.“

Von der Osten-Sacken zitiert Santishree Dhulipudi Pandit, Vizekanzlerin der indischen Jawaharlal Nehru Universität. Sie kritisiert die „Doppelmoral“ europäischer Intellektueller. Pandit schreibt in der indischen Wochenzeitung Sunday Guardian, das intellektuelle Engagement für Menschenrechte bleibe selektiv, kurzsichtig und politisch bestimmt: „Die brutalen Angriffe der Hamas auf Zivilisten, darunter Kinder, Frauen und ältere Menschen, haben sie beispielsweise nicht beunruhigt. Erst, als Israel auf den wohl schwersten Angriff gegen die jüdische Bevölkerung seit dem Holocaust reagierte, rückten die Menschenrechte in den Mittelpunkt.“

Pakistan wirft die afghanischen Flüchtlinge aus dem Land, die Intellektuellen schweigen. Der Krieg im Sudan, brutal geführt, schert die intellektuelle Klasse kaum, zeigt sich Santishree Dhulipudi Pandit entsetzt. In Darfur wütet die Nachfolgeorganisation der Dschandschawid-Milizen, die schnellen Eingreif-Kräfte. Ihre entgrenzte Gewalt gegen Menschen masalitischer Abstammung deutet einen zweiten Völkermord – wie schon im Jahr 2000 – in Darfur an. Die Zeitung Economist versuchte mit ihrer Geschichte „Die Welt ignoriert Krieg, Völkermord und Hungersnot im Sudan“ das mediale Schweigen zu durchbrechen. Trotzdem, der Sudan, Darfur, kein Thema. Die Vizekanzlerin schreibt deshalb auch von einer eklatanten Heuchelei.

Hier hakt Thomas von der Osten-Sacken ein, verweist auf die Millionen Binnenvertriebenen, deren Lage sich täglich verschlimmert. Einer der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR warnt deshalb auch von einer „humanitären Krise unvorstellbaren Ausmaßes.“

Verdrängt und vergessen sind auch die Katastrophen im Jemen und in Äthiopien.

Eine Handhabe gegen diese Serie von Völkermord-Verbrechen gäbe es. Nämlich die 1947 verabschiedete UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. Für deren Einhaltung fühlt sich niemand zuständig, weder die UNO, noch die EU. Weder die arabische Liga, noch die Afrikanische Union. Die beiden letzten Organisationen entsprechen zweifelsohne dem Netzwerk der Gangster, wie Jean-Paul Sartre 1968 das Zusammenwirken der Sowjetunion und Großbritanniens für Nigeria und gegen Biafra bezeichnet.

All diesen Verbrechen fehlt die öffentliche Aufmerksamkeit, die zivilgesellschaftliche, die mediale, die politische. Thomas von der Osten-Sacken: „So zynisch es angesichts der Katastrophe klingt, vermutlich wünschten sich Menschen in Darfur und anderswo im Sudan fünf Prozent jener Aufmerksamkeit, die den Menschen in Gaza zuteilwird. Vielleicht würde dann irgendjemand aktiv werden, um den zweiten Genozid in Darfur zu verhindern, wo schon der erste weitgehend ungestört vor aller Augen stattfinden konnte.“

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