20-07-2023
Entschuldigt Euch!
Die lateinamerikanischen Staaten halten wenig von der Europäischen Union und ihrer angeblichen grünen und Menschenrechtspolitik

Von Wolfgang Mayr
Der linke Präsident von Brasilien, Lula da Silva, soll sich maßlos darüber geärgert haben, dass die EU die lateinamerikanischen Staaten zu mehr Umweltschutz drängt. Der Präsident wies diese angebliche Besserwisserei aus Brüssel als rechthaberisch, als kolonialistisch zurück.
Er geißelte dies als grünen Kolonialismus: Unter dem ökologischen Mäntelchen will die EU Lateinamerika plündern. Manches davon ist nachvollziehbar, ist es doch der Norden, der über seine Konzerne in Kumpanei mit der lateinamerikanischen Elite Land und Leute ausraubte und raubt.
Bei ihrem Treffen kürzlich in Brüssel forderten die Lateinamerikaner die EU auf, sich für den Kolonialismus, für die Sklaverei und für den Klimawandel zu entschuldigen. Genauso nachvollziehbar, die GfbV belegte mit einem Report die umweltschädlichen Praktiken deutscher Unternehmen in Brasilien. Bayer, ein Beispiel vieler unerträglicher kolonialistischer Übergriffe, im Namen des Welthandels.
Trotzdem, es mutet schräg an, wenn die Erben der Kolonialisten die Nachfahren der Kolonialherren auffordern, sich zu entschuldigen. Die herrschende lateinamerikanische Elite, die Enkel der einstigen spanischen und portugiesischen Eroberer, plündert in Allianz mit Konzernen aus dem Norden den Regenwald am Amazonas, die Wälder in Mittel-Chile, die nördlichen Regionen Argentiniens, die Liste kolonialistischer Übergriffe ist lang.
Diese Elite, die sich mit ihrem Brics-Bündnis als Alternative empfiehlt und von Brüssel auf Augenhöhe behandelt werden möchte, führt noch immer ihren Krieg gegen die Nachfahren der indianischen Ureinwohner. Egal wo, in welcher Ecke Lateinamerikas.
In Argentinien enteignen Oligarchen im Verbund mit Parteien und ausländischen, meist westlichen, Konzernen die indigenen Gemeinschaften. In Chile lässt der linksdemokratische Hoffnungsträger Gabriel Boric weiterhin seine schwerbewaffneten Carabinieros gegen die Mapuche vorgehen, indigenistische Gruppen werfen in Bolivien der Linksregierung vor, an der bisher praktizierten Ausgrenzungs- und Ausbeuterpolitik der weißen Herrschaftsschicht festzuhalten.
Die Lage der indigenen Völker in Brasilien bleibt, abseits der verständnisheischenden Ankündigungen des linken Präsidenten, weiterhin dramatisch. Der Ansturm des landlosen Proletariats, der auch mordenden Goldsucher und des Großgrundbesitzes auf den Regenwald, auf die indigene Heimat, ist eine ständige Bedrohung.
Die von Antiimperialisten gefeierte linke Regierung Venezuelas setzt sich genauso über indigene Belange hinweg wie die meisten süd- und mittelamerikanischen Staaten – rechts wie links – allen voran das „linke“ Nicaragua. Nur in Equador spielt die indigene Bevölkerung und ihre Organisation Conaie eine wesentliche politische Rolle.
Rechte wie linke LateinamerikanerInnen ähneln sich in ihrem antiindigenen Rassismus. Die einstigen Siedlerstaaten, die eine Entschuldigung von der EU für Kolonialismus, Sklavenwirtschaft und Kilimawandel fordern, biedern sich jetzt der Volksrepublik China, Indien und Russland an. Drei Staaten, die sich nicht um Menschenrechte scheren, noch viel weniger um indigene Belange und genauso wenig um „Umweltschutz“, sind für die Lateinamerikaner die Alternative zur EU und wohl auch zu den USA geworden.
China plündert Tibet, die Innere Mongolei, das uigurische Ost-Turkestan, bedroht die demokratische Republik Taiwan und die indigenen Völker der Inselrepublik, Indien enteignet die Adivasi-Völker, terrorisiert die um Autonomie kämpfenden Bevölkerungen in Kaschmir und „nervt“ die Shiks. Und Russland, seit kurzem selbsternanntes Sprachrohr der Entrechteten, führt einen Angriffskrieg in der Ukraine, lässt seine Wagner-Söldner in Afrika vergewaltigen, vertreiben und morden – Syrien als Vorbild – und kolonialisiert die nicht-russischen Völker in der sogenannten Russischen Föderation.
Dieses Trio stellt nicht wie die EU bei Handelsabkommen politische Vorbedingungen. Diese drei Staaten wollen uneingeschränkt Rohstoffe „enteignen“, rauben, abseits von Menschen- und Minderheitenrechten sowie umweltpolitischen Auflagen.
Gleichzeitig zum EU-Lateinamerika-Treffen in Brüssel fand in der belgischen Hauptstadt ein „Gipfel der Völker“ statt. Der „linke Gegenentwurf“ zur „Celac-Konferenz“ der lateinamerikanischen und karibischen Staaten, die sich beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine „neutral“ verhalten. Die Abwesenden auf beiden Konferenzen, die indigenen Völker. Sie wurden und werden ausgegrenzt, von den ehemaligen europäischen Kolonialherren und ihren lateinamerikanischen Enkeln, sie fordern deshalb vehement Mitsprache und Mitbestimmung ein. Für westliche Konzerne ein Gräuel, noch viel mehr für die neuen Partner aus China, Indien und Russland.
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