Ehemaliges Konzentrationslager wurde zum Schweinemastbetrieb

Der verstorbene GfbV-Menschenrechtsaktivist Paul Polansky kämpfte Jahrzehnte für ein angemessenes Gedenken an die in Böhmen ermordeten Sinti und Roma. Er wäre bei einer Gedenkfeier am vergangenen Sonntag sicherlich gerne dabei gewesen, meint Jan Diedrichsen

Von Jan Diedrichsen
Am vergangenen Sonntag nahm der tschechische Präsident Petr Pavel an einer Gedenkfeier am Ort des Konzentrationslagers Lety in Südböhmen teil. Das KZ befand sich in der Nähe der Stadt Písek und wurde von der SS betrieben. In dem KZ waren Sinti und Roma untergebracht. Die Bedingungen im Lager waren unmenschlich, mit mangelnder Hygiene, unzureichender Ernährung und medizinischer Versorgung sowie systematischer Gewalt durch die Wachmannschaften. Viele Sinti und Roma wurden in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau weitergeleitet, wo sie ermordet wurden.

Zwischen 1940 und 1943 wurden mehr als 1.300 Roma dorthin deportiert, von denen mindestens 327 den Tod fanden. An der Veranstaltung zum 80. Jahrestag des Transports in das NS-Vernichtungslager Auschwitz am vergangenen Wochenende nahmen Hunderte von Menschen teil.

Der ehemalige Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und Menschenrechtsaktivist Paul Polansky wäre sicher gerne dabei gewesen. Er verstarb jedoch im März 2021 im Alter von 79 Jahren in Knez Selo bei Niš in Serbien. Paul Polansky war in einem südböhmischen Staatsarchiv auf die Geschichte des KZ für Roma gestoßen und hatte gemeinsam mit der GfbV 1995 die Öffentlichkeit darüber informiert. Der besondere Skandal des Lagers, von denen es so viele gab, war die Tatsache, dass in den 1970er-Jahren auf dem Gelände ein großer Schweinemastbetrieb angesiedelt und dieser teilweise mit EU-Subventionen betrieben wurde.

Von vielen Roma und Sinti wird der Begriff Porajmos verwendet, um den Völkermord an ihrem Volk während des Zweiten Weltkriegs zu benennen. Es wurden schätzungsweise 500.000 bis 1,5 Millionen Roma und Sinti in Europa getötet, die meisten von ihnen in Konzentrations- und Vernichtungslagern, aber auch durch Erschießungen, Todesmärsche und medizinische Experimente. Der Begriff „Porajmos“ kommt aus der Romani-Sprache und bedeutet „Verschlingen“ oder „Zerstörung“.

Hartnäckig hielt Polansky, unterstützt von Tilman Zülch und der GfbV, die Erinnerung an das Schicksal der Roma in Tschechien wach und machte auf den Skandal der „Schweinemast im Konzentrationslager“ aufmerksam. Zahlreiche Proteste tschechischer Roma-Organisationen sowie die Verabschiedung von zwei Resolutionen des Europäischen Parlaments, die den Abriss der Schweinemastanlage und die Errichtung einer Gedenkstätte forderten, blieben jedoch ergebnislos. Erst nach jahrelangen Diskussionen hat der tschechische Staat das Gelände 2018 gekauft. Die Schweinefarm wurde inzwischen abgerissen und nun endlich das Denkmal für die Opfer des Holocausts an Sinti und Roma eingeweiht.

Der Porajmos, der Völkermord an Sinti und Roma, wird noch heute in der Geschichtsschreibung und in der öffentlichen Erinnerungskultur oft übersehen bzw. nur am Rande behandelt. Roma und Sinti wurden als „asozial“ und „kriminell“ stigmatisiert und in vielen Ländern Europas schon vor dem Krieg bis in die heutige Zeit hinein diskriminiert. Diese Vorurteile und Stereotype führten dazu, dass ihre Leiden während des Krieges nicht ernst genommen oder sogar als gerechtfertigt eingestuft wurden.

Der tschechische Präsident Pavel sagte bei der Einweihung des Denkmals, dass die Beziehungen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der Roma-Minderheit noch verbesserungswürdig seien; was man eine arge Untertreibung nennen muss, eingedenk der Tatsache, wie massiv Sinti und Roma bis heute unter Diskriminierung zu leiden haben. Diese Diskriminierung bleibt ein moralischer Schandfleck Europas. Es braucht auch heute noch dringend Menschen, wie Paul Polansky einer war, um auf die Verbrechen der Vergangenheit und Gegenwart gegen Sinti und Roma aufmerksam zu machen.

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