27-07-2021
Diskriminierte Minderheiten – ELEN kritisiert Sprachenpolitik in Frankreich
Von Wolfgang Mayr
Das Europäische Netz für die Sprachengleichheit ELEN hat sich mit einer Klage an die UNO gewandt. Das Netz und 50 Organisationen in Frankreich werfen dem Staat vor, die sprachlichen Minderheiten ständig zu diskriminieren.
Besonders in der Kritik steht die Entscheidung (decisione) des französischen Verfassungsgerichts, in den öffentlichen Schulen den Immersionsunterricht (Französisch-Minderheitensprachen) zu verbieten. Genauso das Verbot von Familiennamen in den jeweiligen Minderheitensprachen.
Das Verfassungsgericht sprach sich gegen das mit großer Mehrheit von der Nationalversammlung verabschiedete moderne Minderheitengesetz (Einbringer Paul Molac, Bretagne, Liste en marche) aus. Und zwar nach Anrufung durch Staatspräsident Macron. ELEN wirft den hohen Richtern und dem Bildungsministerium vor, die Minderheitensprachen gezielt ausgrenzen zu wollen. Frankreich verstößt mit seiner Politik gegen die Minderheiten damit gegen zehn internationale Vereinbarungen:
die Allgemeine Erklärung der Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen Minderheiten angehören, insbesondere die Artikel 1, 2, 4 und 8;
den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Artikel 17, 24, 26 und 27;
den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Artikel 13, 14 und 15;
das Internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Artikel 2, 7, 8, 28, 29 und 30;
das UNESCO-Übereinkommen zur Bekämpfung von Diskriminierung im Bildungsbereich, Artikel 1 und 5c;
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 26;
die Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 14 und das Zusatzprotokoll Nr. 1;
die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Artikel 21;
das Internationale Übereinkommen zum Schutz des immateriellen Kulturerbes;
das Internationale Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Kulturellen Vielfalt und des Kulturellen Ausdrucks.
Simon Constantini vom Blog Brennerbasisdemokratie erwartet sich von der Elen-Klage weitreichende Folgen auch für die Sprachminderheiten in Italien. Mehr als zehn Minderheitensprachen werden in den öffentlichen Schulen nicht verwendet. Dies könnte sich ändern, hofft Constantini, wenn die UNO sich klar positioniert. Weder Frankreich noch Italien haben bisher die Sprachencharta des Europarates ratifiziert. Die beiden Staaten halten somit den Angehörigen der Sprachminderheiten entsprechende Rechte vor.
Wer sich nicht wehrt, …
Die autonomistische Regionalregierung von Korsika plant ab dem neuen Schuljahr im September den Start von zweisprachigen Immersionsschulen mit korsischer Unterrichtssprache.
Die beiden Schulen von Scola Corsa werden in den Gemeinden Bastia und Biguglia starten. Weitere Gemeinden wollen ebenfalls Schulen in korsischer Sprache errichten.
Sie gehören dem Netzwerk Eskolim an. Dazu zählen die Minderheitenschulen Diwan (Bretagne), Seaska-Ikastola (Baskenland), Bressola (Katalonien), Calendreta (Okzitanien) und ABCM-Zweisprachigkeit (Elsass und Lothringen). Die Schulen sind privat, kostenlos, laizistisch und staatlich anerkannt.
Language Rich?
Das Programm Language Rich Europe der Europäischen Kommission stellt in einer Untersuchung fest, dass beispielsweise in Italien der Sprachenreichtum schrumpft. Laut der von der Universität Siena (italienische Partner-Institut von Language Rich) erhobenen Studie verdrängt die italienische Sprache die übrigen autochthonen Sprachen in Italien. 90 Prozent der BürgerInnen sprechen italienisch, Tendenz steigend. Vor mehr als 100 Jahren sprachen fast nur die Bewohner der Toskana und von Rom die italienische Hochsprache.
Die SprachwissenschaftlerInnen kommen zum Schluss, dass in Italien eine „sprachliche Homogenisierung“ stattfindet. Die vielen regionalen Dialekte und die Sprachen der nationalen Minderheiten wurden und werden zurückgedrängt. Eine glatte Verletzung der italienischen Verfassung, die vom Respekt und Schutz der sprachlichen Vielfalt spricht.
In Italien herrschen also schlechte Voraussetzungen für die Sprachminderheiten, es gibt für sie keine Unterstützung. Die fehlende Förderung – wie beispielsweise mehrsprachige Schulen – wirkt sich negativ auf den Spracherhalt aus.
Kritischer Europarat
Der Europarat hat sich in einem Bericht mit der Umsetzung der Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Spanien. Überprüft wurden die getroffenen Maßnahmen für die Minderheitensprachen in der spanischen Republik.
Die ExpertInnen des Europarates empfahlen – bereits öfters schon – der autonomen Region València (País Valencià) den Immersionsunterricht in valencianischer Sprache, einer Variante des Katalanischen. Gemeint ist, klärt Simon Constantini vom Blog Brennerbasisdemokratie auf, (wie hier beschrieben) nicht etwa eine mehrsprachige Schule, sondern ein Schulmodell in der Minderheitensprache.
Der Europarat wirft der Regierung in Valencia vor, mit ihrem mehrsprachigen Schul-Modell die valencianische Sprache zu schwächen würde. Warum? Es sieht jeweils 25% Unterrichtszeit auf Valencianisch/Katalanisch, 15% auf Englisch und 25% auf Kastilisch (Spanisch) vor. Damit wird das Verhältnis der Minderheitensprache auf 60% begrenzt und verhindert laut ExpertInnenkomitee den Immersionsunterricht.
Als Modell empfahl der Europarat die Schule in Katalonien — eine katalanische Schule für alle — und erklärte sie zur Best Practice. Doch selbst dieses Modell, kommentiert Constantini, scheint den Fortbestand der Minderheitensprache im spanischen Nationalstaat nicht langfristig sicherzustellen.
ELEN | European Language Equality Network
Eskolim — Wikipédia (wikipedia.org)
https://www.federation-rps.org/
Minderheiten in Frankreich – Wikipedia
Language Rich Europe | Institut de Plurilinguisme (institut-plurilinguisme.ch)
Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (coe.int)
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