20-03-2022
Die Ukraine kämpft für Europa
Trotz der Sanktionen und Waffenlieferungen sekundiert die EU und die NATO das tägliche Abschlachten der russischen Armee in der Ukraine. Osteuropa-Experten fordern deshalb entschiedenere, auch militärische Hilfe.
Von Wolfgang Mayr
Attacken auf Städte, Krankenhäuser und Kindergärten, Wohnviertel und Supermärkte, die russische Armee will die Ukraine in Schutt und Asche bomben. Tausende Menschen werden nach Russland verschleppt, Bürgermeister entführt. Hunderttausende flüchten, die deutschen Behörden scheinen unvorbereitet und hoffnungslos überfordert zu sein.
Bereits im Januar drängten 96 Osteuropa-Experten mit einem Offenen Brief Deutschland und die EU zu einer aktiveren Unterstützung der Ukraine. In einer aktualisierten Neufassung ihres Offenen Briefs sprechen die Fachleute Klartext, notwendig sind schwere Defensiv- sowie ausgewählte Offensivwaffen, wie z.B. größerer Flugabwehrgeräte sowie geeignete Kampfflugzeuge, -schiffe, -fahrzeuge.
Im Offenen Brief heißt es: „Das … Schicksal der Ukraine sollte allein Grund genug für intensiveres Engagements Deutschlands und der EU sein. Es liegt aber auch im ureigenen Interesse ganz Europas zu verhindern, dass Putin mit seinem imperialen Revanchismus Erfolg hat … Ein Erfolg Putins in der Ukraine könnte zu weiteren Aggressionen gegen andere blockfreie Nachbarländer wie Moldau und Georgien führen und den europäischen Kontinent weiter destabilisieren.“
Die Brief-Schreiber erinnern an die deutsche Geschichte in der Ukraine, das nationalsozialistische Wüten, an das Zusammenspiel zwischen NS-Deutschland und der Sowjetunion und an den stalinistischen „Roten Hunger“, an den Hunger-Holocaust. Das Zentrum Liberale Moderne dokumentierte diese Geschichte „Auf den Spuren von Terror und Gewalt“.
Die in die Zukunft gerichteten Sanktionen müssen ergänzt werden mit Maßnahmen, um der der Ukraine bereits heute aktiv beim Überleben zu helfen, heißt es im Offenen Brief samt unmissverständlicher Botschaft an die deutsche Bundesregierung: „Deutschlands kurzsichtiger Egoismus in den gemeinsamen Bemühungen der europäischen Nationen, Putins Aggression zu widerstehen, muss ein Ende haben. Es müssen schon jetzt alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden, um für die Russische Föderation den Preis dieses Kriegs zu erhöhen.“
Die Fachleute drängen auf eine Verschärfung der Sanktionen gegen die Banken, gegen Mitglieder der russischen Regierung, gegen die Oligarchen und ihr Eigentum sowie auf weitreichende Lieferungen von nicht nur Verteidigungswaffen.
Mit-Unterzeichner Richard Herzinger geht noch ein deutliches Stück weiter, er kann sich eine direkte „Intervention“ der Nato vorstellen. Denn, stellt Herzinger fest, „nach dem Willen des russischen Führers und seiner maßgeblichen Ideologen sollen die Ukrainer mit brutalster Gewalt in ein Heloten-Volk unter der Knute Russlands verwandelt werden. Im Klartext: Das Putin-Regime bereitet in der Ukraine … einen Genozid vor.“ Die NATOdarf nicht länger zusehen, wirbt Herzinger für mehr als Sanktionen und Aufrüstung. Er verweist auf die Lage der eingekesselten Stadt Mariupol, dort beschießt die russische Armee zivile Einrichtungen und Flüchtende. Juristen debattieren, ob es sich um Kriegsverbrechen oder gar einen Genozid handelt. Der renommierte Völkerrechtler Christian Tomuschat hat eine klare Antwort – und eine düstere Prognose. Die Stadt soll ausgehungert werden, Anzeichen für Völkermord.
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