Die Grauen Wölfe und ihr Gruß

Sie sind antisemitisch, rassistisch und minderheitenfeindlich

Von Wolfgang Mayr

Das Berliner Ramer-Institut drückt sich nicht an einer deutlichen Definition der türkischen “Grauen Wölfe” herum. Das Fazit des Instituts: “Sie sind eine der stärksten rechtsextremen Strömungen in Deutschland”. 

Die “Grauen Wölfe” mögen zwar vom Verfassungsschutz beobachtet werden, das Beobachten bleibt aber folgenlos. Wie damals der “Nationalsozialistische Untergrund” NSU und andere gewaltbereite rechtsradikale Organisationen. Die türkischen Faschisten werden vom deutschen Staat nicht behelligt. Sie gelten als Verbündete des islamistischen Präsidenten der Türkei, von Erdogan. 

Die deutsche Polizei mag zwar einen “Fan-Marsch” türkischer Nationalisten vor dem EM-Spiel Niederlande-Türkei in Berlin gestoppt haben, gleichzeitig dürfen türkische Fußballer via TV den “Wolfsgruß” verharmlosen. Dieser “Gruß” symbolisiert nur die “türkische Stärke und Kraft”, tönten die Verharmloser und Weichspüler.

Vielen wird der “Wolfsgruß” kaum bekannt gewesen sein. Den türkischen Fußballern aber schon. Nicht von ungefähr feierte Merih Demiral beim siegreichen Spiel der Türkei gegen Österreich seine Tore mit dem “Wolfsgruß”. Das war am Jahrestag des Sivas-Massakers, ein absoluter Skandal, findet Kamal Sido von der GfbV, eine Verhöhnung der alevitischen Opfer.

Der Wolfsgruß ist das Erkennungszeichen türkischer Extremisten: Er wurde 1993 beim Massaker von Sivas gezeigt, listet Kamal Sido auf, 1978 beim Massaker von Maraş an den Aleviten, als Demonstrationen von Frauen für Gleichberechtigung niedergeschlagen wurden, als der armenische Journalist Hrant Dink 2007 ermordet wurde, wenn Dörfer und Städte der Kurden von der Armee niedergebrannt wurden und werden und auch als die syrisch-kurdische Region Afrin 2018 völkerrechtswidrig von der Türkei besetzt wurde.

Die Grauen Wölfe hetzen entgrenzt gegen Juden und Israel, unterstützen die von Präsident Erdogan gesponserte klerikal-faschistische Hamas und hantieren mit einer Ideologie, die ein toxischer Mix aus türkischem Nationalismus und extremem sunnitischen Islamismus ist. Eine Ideologie, die sich radikal gegen Frauen und linke demokratische Bewegungen richtet.

Das Massaker von Sivas

1993, am 2. Juli, fielen türkische Nationalisten in der Stadt Sivas/Sêwas über die alevitische Bevölkerung her. 35 Menschen verbrannten oder erstickten, als ein islamistischer Mob Brandsätze in das Hotel Madımak warf. An jenem Tag fand ein Kulturfestival statt, das der alevitischen spirituellen Identifikationsfigur Pir Sultan Abdal gewidmet war – ein Volksdichter und Freiheitsheld aus dem 16. Jahrhundert, der wegen Rebellion gegen die osmanische Herrschaft hingerichtet wurde.

Die Opfer: Dichter:innen, Denker:innen, Sänger:innen und Tänzer:innen

Die im Madımak logierenden Gäste des Festivals waren überwiegend alevitische Dichter:innen, Denker:innen, Sänger:innen und Folkloretänzer:innen, aber auch kritische Intellektuelle anderer Konfessionen. Unter ihnen befand sich auch der Schriftsteller Aziz Nesin, der das Pogrom knapp überleben sollte. Der bekennende Atheist war bei Islamisten verhasst, weil er sich für die Publikation der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie einsetzte. 

„Das ist das Höllenfeuer, in dem die Ungläubigen brennen werden“

Nach dem Freitagsgebet zogen aus drei Moscheen 15.000 Fanatiker erst durch die Stadt und schließlich vor das Madımak-Hotel. Aus ihren Kehlen hallte es: „Es lebe die Scharia! Nieder mit dem Laizismus!“ Steine und Brandsätze flogen, die Menge kesselte die Festivalteilnehmenden ein. 

Militär zieht sich zurück, Polizei hilft Angreifern

Die Ereignisse in Sivas wurden über acht Stunden live im Staatsfernsehen übertragen. Die Aufnahmen zeigten unter anderem, wie vereinzelte Polizisten der Menge halfen und eine anrückende Militäreinheit sich wieder zurückzog, ohne den Menschen im Madımak Hilfe zu leisten. Auf den Bildern jenes Tages ist auch zu sehen, wie Islamisten in das Hotel eindrangen, Benzin vergossen und es ansteckten. Die Flammen schlugen schnell bis zur dritten Etage, da das Gebäude aus Holz war. Die eingeschlossenen Menschen konnten sich nicht aus dem brennenden Hotel retten, weil der wütende Mob ihnen den Weg versperrte und den Brand bejubelte. Aziz Nesin und mehr als vierzig weiteren Menschen gelang es schließlich, über das Dach auf ein Nachbargebäude zu flüchten. Viele von ihnen waren schwer verletzt. Im Tumult erschossen Beamte zwei Angreifer.

Die GfbV erinnerte daran, dass das Verbrechen – weder juristisch noch politisch – geahndet wurde. Stattdessen wurden Täter begnadigt oder der Tatbestand als verjährt betrachtet. Obwohl, Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie das Sivas-Massaker nicht verjähren.  Bis heute fordern alevitische Verbände eine unabhängige Aufklärung des Verbrechens vom 2. Juli 1993. Zwar hatte es Schauprozessen gegen einzelne Attentäter gegeben – von den 15.000 Beteiligten des Pogroms nahmen Sicherheitskräfte nur 190 fest, verurteilt wurden nur 130; hauptsächlich zu symbolischen Haftstrafen – doch viele der Täter genießen bis heute ein Leben in Freiheit. 

Und das nicht nur in der Türkei. Einige Pogrom-Beteiligte flohen damals nach Deutschland, wo sie Asyl erhielten. Trotz internationalen Haftbefehlen fand nie eine Auslieferung statt. Auch weigerte sich die deutsche Justiz, die Mittäterschaft der drei Männer an dem Pogrom nach dem Weltrechtsprinzip selbst zu ahnden. Einige von ihnen besitzen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft. „Das dürfen die deutschen Behörden nicht zulassen. Die deutsche Justiz muss die Täter nach dem Prinzip der Weltgerichtsbarkeit zur Rechenschaft ziehen“, fordert die GfbV.

In Deutschland leben eine Million Angehörige der alevitischen Minderheit, in der Türkei etwa 20 Millionen. Bis heute sind Aleviten in der Türkei Diskriminierung, Hetze und Verfolgung ausgesetzt. „Die Freilassung und Begnadigung vieler Täter in der Türkei zeigt deutlich, dass die türkische Regierung und Justiz die alevitische Gemeinschaft nicht schützt und sich im Gegenteil sogar gegen sie stellt“, schreibt die GfbV.

Fall beim Verfassungsgericht

Im September 2023 ist in der Türkei auch das letzte Verfahren im Zusammenhang mit dem Massaker von Sivas wegen Verjährung eingestellt worden. Angehörige der Opfer hoffen auf das Verfassungsgericht. Sie hatten dafür geklagt, dass das Massaker als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft und es damit zu einer unverjährbaren Straftat erklärt wird. Zehn Jahre mussten vergehen, ehe die Generalversammlung des höchsten Gerichts der Türkei im Februar 2024 beschloss, sich „mit der Sache“ zu befassen. Eine Ankündigung ohne Folgen.  Die Beschwerdeführenden müssen auch 31 Jahre nach Sivas auf Gerechtigkeit warten. 

Trotz alledem, die “Grauen Wölfe” sind nicht verboten, genauso wenig ihr “Wolfsgruß”, die kurdische PKK hingegen schon. Auf Wunsch der Türkei. Die Türkei genießt politische “Narrenfreiheit”, sie ist immerhin ein NATO-Staat.

Die Toten von Sivas: Muhlis Akarsu (45), Muhibe Akarsu (44), Gülender Akça (25), Metin Altıok (53), Mehmet Atay (25), Sehergül Ateş (29), Behçet Sefa Aysan (44), Erdal Ayrancı (35), Asım Bezirci (66), Belkıs Çakır (18), Serpil Canik, (19), Muammer Çiçek (26), Nesimi Çimen (62), Carina Cuanna Thuijs (23), Serkan Doğan (19), Hasret Gültekin (22), Murat Gündüz (22), Gülsüm Karababa (22), Uğur Kaynar (37), Asaf Koçak (35), Koray Kaya (12), Menekşe Kaya (15), Handan Metin (20), Sait Metin (23), Huriye Özkan (22), Yeşim Özkan (20), Ahmet Özyurt (21), Nurcan Şahin (18), Özlem Şahin (17), Asuman Sivri (16), Yasemin Sivri (19), Edibe Sulari (40), İnci Türk (22) sowie die Hotelangestellten Ahmet Öztürk (21) und Kenan Yılmaz (21).

siehe auch: Genozid an alevitischen Kurden; In Gedenken an das Marras-Massaker 1978; Kurdische Gemeinde Deutschlands; Zwischen Ausgrenzung und Repression; 

„Mein Held“ – Nach „Wolfsgruß“-Marsch: Polizist richtet auf Türkisch eindringlichen Appell an Fans | Watch (msn.com)

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