Die Angst vor Thelma

Die Landarbeitergewerkschafterin Thelma Cabrera und ihre Partei MPL stressen die guatemaltekische Elite

Von Wolfgang Mayr

Siehe alle Teil der Serie:

Im Visier der Palmölbarone

„Für die Völker“

 

Thelma Cabrera hat sich als Landarbeiter-Gewerkschafterin in Guatemala einen Namen gemacht. Trotz der juristischen Schwierigkeiten, das Wahlgericht verweigerte die Registrierung Cabreras als Präsidentschaftskandidatin, kündigten sie und die Gewerkschaft Codeca an, ihre Kampagne fortzusetzen: Die Kampagne zur Befreiung der autochthonen Völker. 

Laut der letzten Volkszählung erklärten sich 48 Prozent der Bevölkerung als indigen, manche vermuten, dass die Zahl deutlich höher ist. Mehr als 60 Prozent. Trotzdem wurde und wird Guatemala von Angehörigen der „weißen“ Eliten regiert. Cabrera ist nach der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu erst die zweite Maya-Aktivistin im Land der Maya, die sich um das Präsidentenamt bewerben wollte.

Das politische System in Guatemala nennt Cabrera korrumpiert. „Das System wurde von Korrupten entworfen, um sie frei zu halten, aber um denen die Hände zu binden, die ehrlich sind. Wir können diese Sklaverei, in der wir leben, nicht mehr ertragen“, sagte Cabrera im Interview mit dem indianischen US-amerikanischen online-Medien Indian Country Today.

ICT beschreibt die 52-jährige Cabrera als eine Frau des Volkes, sie habe ungewöhnliche Hände, aufgeraut durch jahrzehntelanges Waschen von Kleidern im Fluss und das Pflanzen von Gemüse und Mais. Cabrera konnte nur sechs Jahre lang zur Schule gehen, dann musste sie arbeiten. Eine typische Lebensgeschichte für eine indigene Frau in Guatemala.

Cabrera, die spanisch als Zweitsprache spricht, wuchs in El Asintal auf, einer verarmten Gemeinde an der Westküste am Pazifik. Mit ihren Eltern und Geschwistern arbeitete sie auf Kaffeefincas und heiratete mit 15 Jahren. Sie lebt immer noch in ihrem bescheidenen, blechgedeckten Haus. 

„Ich kam aus dem Müll“!

„Ich kam aus dem Nichts, aus dem Müll. Seit vielen Jahren arbeite ich mit Gemeinschaften zusammen, die unter Chancenlosigkeit, unwürdigen Löhnen, Migration und Gewalt sowie Korruption leiden“, erzählte Cabrera der Journalistin Nina Lakhani von der britischen Zeitung „The Guardian“.

Thelma Cabrera agiert im ländlichen Kernland, wo das organisierte Verbrechen und Landwirtschafts-Magnaten seit dem Ende des 36-jährigen Bürgerkriegs 1996 Land und Politik kontrollieren.

Die Maya und die mit ihnen verwandten Bevölkerungsgruppen leiden an Unterernährung, unter Analphabetismus, an Landlosigkeit, sozialer Ausgrenzung und Armut. Eine ganze Reihe von Gründen, das Land zu verlassen. Die verarmten und landlosen Maya-Familien strömten nordwärts, in Richtung USA. Inzwischen drängen mehr Guatemalteken über den Rio Grande als Mexikaner. Die Migranten sind überwiegend indigen.

Auch einer der Töchter Cabreras – eines ihrer vier Kinder – wanderte 2021 in die USA aus, weil sie in ihrer Heimat keinen anständigen Job finden konnte.

Cabrera, die MLP und Cedeca haben den krassen Ungleichheiten den Kampf angesagt. Sie streben eine Verfassungsreform an, um der indigenen, afro-guatemaltekischen und den Mestizen-Völkern eine ihrer zahlenmäßigen Stärke entsprechenden parlamentarischen Vertretung zu garantieren. Codeca und MLP kämpfen für Landrechte und öffentliche Dienstleistungen für indigene Völker sowie gegen die Privatisierungen von staatlichen Unternehmen. 

Zu den Prioritäten zählt auch die Beendigung des illegalen Landraubs, die Verstaatlichung der Energiewirtschaft und die rechtliche Überprüfung von Bergbau-, Staudamm- und Landwirtschaftslizenzen, die ohne Konsultationen genehmigt wurden.

„Ich wage es, das Schweigen als Mam-Frau (Cabrera ist Angehörige der Ethnie Maya-Mam, Anmerk. Red.) zu brechen“, sagt Cabrera zu ihrem politischen Engagement. „Wir versuchen, das Land zu verändern, nach all den Ungerechtigkeiten, die wir erlitten haben“, gibt sich Cabrera kämpferisch. Der Kampf ist nicht ohne Risiko. 26 Codeca-Mitglieder, die die Bewegung für die Befreiung der Völker MLP gegründet, wurden seit 2019 ermordet. 

„Sie haben Angst vor uns“, sagt Cabrera über die Eliten des Landes. Diese fürchten sich vor einer demokratischen Neuorganisation Guatemalas. „Niemand wird etwas weggenommen, alles, was wir wollen, ist, dass jeder seine Pflicht tut.“

Yo Elijo Dignidad“

Zu einem überraschenden Erfolg für Cabrera und die MLP wurde die Online-Kampagne „Yo Elijo Dignidad“ (Ich wähle die Würde). Es stellte sich heraus, dass für die Maya-Gewerkschafterin das Amt der Staatspräsidentin realistisch wurde. Während Cabrera bei den letzten Wahlen 10 Prozent erhielt, klettern laut Wahlumfragen die Zustimmungswerte auf über 40 Prozent hinaus. Die Reaktionen der elitären Oligarchen, den Nachfahren der spanischen Eroberer, fielen harsch aus. Sie wurde als ungebildet und ungehobelt verspottet, als radikale Kommunistin verunglimpft, die Guatemala in das nächste Venezuela verwandeln möchte. Die greifbare Angst der Elite vor Thelma Cabrera.

„Sie hat der ausgegrenzten Mehrheit ein Gesicht und eine Stimme gegeben, mit einem radikalen politischen Projekt, um den unterdrückerischen Staat zu verändern. Sie ist anders als alles, was wir seit den 1940er Jahren gesehen haben“, würdigt Andrea Ixchiu Thelma Cabrera. Für ihn ist ihrer Kandidatur historisch.

Cabrera und ihre Bewegung haben die amtierende US-Regierung von Joe Biden auf ihrer Seite. Die USA kritisierten die dürftigen Antikorruptionsbemühungen, warfen der Generalstaatsanwältin Consuelo Porras vor, Staatsanwälte zu schikankieren, die gegen Korruption ermittelten. 30 Staatsanwälte flohen deshalb aus dem Land.

Den neuen Sonderstaatsanwalt setzte die US-Regierung auf ihre Korruptions-Liste. Es handelt sich dabei um Personen, die der Korruption oder der Untergrabung der Demokratie verdächtigt werden. Dem Sonderstaatsanwalt wird vorgeworfen, Korruptionsermittlungen behindert zu haben.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Guatemala setzt das Oligarchen-Regime der Großgrundbesitzer, der organisierten Kriminellen und rechter Todesschwadrone auf die gezielte Repression von Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und indigenen Umweltschützern. Das Verfassungsgericht bestätigte kürzlich die Entscheidung des Wahlgerichts, Thelma Cabrera und ihren Mitstreiter Jordán Rodas von den Wahlen auszuschließen. 

Cabrera und Rodas besuchten die Vereinigten Staaten, trafen sich mit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und stellten auf Democracy Now! ihr politisches Programm vor. Die beiden verhinderten Kandidaten sagten unmissverständlich, „Guatemala ist ein korrupter Staat, der von Kriminellen vereinnahmt wurde. Dies spiegelt sich nun in der Verletzung unseres Rechts wider, an dieser Präsidentschaftswahl teilzunehmen.“ 

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