28-03-2023
Deutsch-Sorbische Lyrik: Kito Lorenc geehrt
Der sorbische Lyriker Kito Lorenc wurde am Welttag der Poesie in Berlin ausgezeichnet. Jan Diedrichsen fragt sich in seiner Kolumne, warum nicht mehr getan wird, um die sorbische Kultur und Sprache zu bewahren.

Erschienen als Kolumne VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT im „Der Nordschleswiger“
Von Jan Diedrichsen
Am Welttag der Poesie (21. März) wurde in der Akademie der Künste in Berlin der Schriftsteller Kito Lorenc (1938-2017) mit einer Archiveröffnung, Buchpräsentation und Lesung ausgezeichnet.
Es war ein erinnerungswürdiger Abend. Erinnerungswürdig, weil ein Lyriker in den Mittelpunkt gerückt wurde, dem wir unzählige wunderschöne Gedichte verdanken. Erinnerungswürdig, weil deutlich wurde, was wir zwar schon immer wussten, aber viel zu selten aussprechen, nämlich, wie viel ärmer Deutschland wäre, wenn es die Sorben, ihre Kultur und Sprache nicht geben würde. Die Heimat in zwei Kulturen und Sprachen hat das Werk von Kito Lorenc erst möglich gemacht.
Doch Gedichte zu lesen ist schöner, als über sie zu lesen:
Einseitige Linde
Ein Zwiesel ist sie.
Als sie jung war
hat man vergessen,
sie einstämmig zu ziehen.
Jetzt droht sie
zu spalten, die halbe Krone zu verlieren,
wenn nicht abzusterben
an der Wunde der Spaltung.
Zumindest wäre die Restkrone
nur einseitig gezweigt,
bis ich zu alt bin,
daß sie sich füllt
und auswächst
über mir.
Peter Handke hat zum 75. Geburtstag des Dichters 2013 gesagt: „Kito Lorenc ist ein Kind, ein Kind im umfassenden Sinn, der Landschaft an den Ostgrenzen Deutschlands, der Lausitz, oder, wie sie sorbisch anders schön heißt, der Łužica („ž“ wie das „j“ von Jeanne d’Arc), Kind der Łužica, so wie seine Poesie deren Kind ist, der Bäche, Felder, Hügelwälder, Moore und Heide dort zum einen, des Aneinanderstoßens – auch das in vielerlei Sinn – dreier Länder, eines deutschen, eines polnischen, eines tschechischen zum anderen. Seine Gedichte sind geboren aus dem sorbischen Dreiländereck, in ein paar Schlenkern oder eher Anspielungen auch aus der weniger heiteren, weniger stillen, weil weniger fruchtbaren Dreistaatenecke. Solche Gedichte wie die paar Dutzend von Kito Lorenc hat es im Deutschen noch keinmal gegeben und wird es, traurig und vielleicht gar nicht wahr, nie wieder geben, nimmermehr, nevermore“, so Handke.
Die zum Teil komisch-grotesken Verse, seine melancholischen Naturbilder werden nie langweilig, und sind Inspiration für zahlreiche deutsche und sorbische Lyriker geworden. Er stemmte sich mit seinem Schaffen auch gegen ein folkloristisches oder gar volkstümelndes Klischeebild der Sorben und konnte dabei scharfzüngig vorgehen.
Nach einem wunderbaren Abend in der Akademie der Künste in Berlin fragt man sich indigniert, warum nicht viel mehr getan wird, um die Sprachen- und Kulturvielfalt in Deutschland zu fördern. Bewusst oder unbewusst wird an der schleppenden Assimilierung, ja Vernichtung dieser Vielfalt durch Unterlassung mitgewirkt. Die Sorben sind ein Volk von 60.000 Menschen, in der Lausitz beheimatet.
Was sagt es über sie aus, dass sie Dichter wie Kito Lorenc oder auch Jurij Brězan hervorgebracht haben? Was sagt es über uns als „Gesamtgesellschaft“ aus, dass sich die Sorben gegen das Aussterben stemmen müssen? Wertschätzung, Sichtbarmachung und eine Strategie zum Schutz und wenn nötig Revitalisierung dieser Sprache und Kultur – vor allem hinreichende finanzielle Ausstattung – müssten eine Selbstverständlichkeit sein. Sind sie aber nicht. Dies zu ändern wiederum ist eine Aufgabe der „Mehrheit“, nicht der „Minderheit“ selbst – es ist die Aufgabe der Politik. Dann werden wir auch in Zukunft mit Werken wie dem von Kito Lorenc beschenkt:
Schlaflose Nacht
Regenlaub, sprich zu mir,
wärme mich, Dunkel,
lass mich sehen mit Augen,
den Atem noch spüren
unter der Haut
Nacht ohne Sterne,
sei mein Zelt,
wenn ich der Liebe gedenke.
Wiegt mich, ihr Jahre,
in euren Armen
Tausend Schmerz
will ich dann tragen.
Gib mir, Vergessen,
nur Trost, mach, Schlaf,
mir nicht Angst
Die hellen Gestalten
durchschreiten mich lächelnd,
Freunde, Verwandte –
alle leben sie, winken
grüßend herüber
Und so leicht
wird mir, ich träume
den alten Traum, träum ihn
wieder von uns, bis er
wach ist am Tag
Kaufempfehlung:
Kito Lorenc: Es war nicht die Zeit. Gedichte. Auswahl und mit einem Nachwort von Michael Krüger. Wallstein, Göttingen 2023, 163 Seiten, 22 Euro.
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