27-12-2023
Armenien in der Zange
Türkei und Aserbaidschan planen eine Landverbindung nach Nachitschewan. Quer durch Armenien.

Von Wolfgang Mayr
Die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan mit ihren 460.000 Einwohnern liegt zwischen dem südwestlichen Armenien und dem nordwestlichen Iran. Nicht weit davon entfernt ist der aserbaidschanische Partner Türkei. Aserbaidschan will nach der Eroberung von Arzach und der restlichen Vertreibung der armenischen Bevölkerung eine direkte Verbindung nach Nachitschewan „herstellen“, mit einer Autobahn durch den südlichen Teil der Republik Armenien. Um diese Forderung entsprechenden Nachdruck zu verleihen, rückten die verbündeten Armeen Aserbaidschans und der Türkei zu gemeinsamen Manövern aus. Hart an der Grenze zu Armenien.
Die bisherige selbsternannte Schutzmacht Armeniens, Russland, ließ seinen Schützling in den jüngsten Kriegen im Stich. Die in Arzach und in Armenien stationierten russischen Soldaten schauten dem Krieg und den Vertreibungen teilnahmslos zu. Wie auch die westliche Öffentlichkeit und die westliche Linke, die jede Ungerechtigkeit vehement bekämpft, besonders wenn dafür die USA und Israel als die angeblichen Verursacher ausgemacht werden.
Aserbaidschan schuf vollendete Tatsachen, die historische armenische Region Arzach, Berg-Karabach, ist restlos ethnisch gesäubert. Die einstige Hauptstadt Stepanakert heißt inzwischen Chankendi, Aserbaidschan folgt dem russischen Beispiel der Russifizierung der besetzten Ostukraine und der Krim.
Die russische Entsolidarisierung bleibt nicht folgenlos. Das bislang russlandtreue Armenien schaut sich nach neuen Partnern um. Im Westen. So nahm Premierminister Nikol Paschinjan an der Konferenz europäischer Staats- und Regierungschefs teil und boykottierte das GUS-Treffen. Paschinjan blieb auch dem Treffen des OVKS-Militärbündnisses fern. Eine doch deutliche Absage an den bisherigen russischen Partner. Mit einem Ordnungsruf versucht die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa Paschinjan zu disziplinieren fordert von Armenien eine „eindeutige Position“ zu Russland. Kürzlich beteiligten sich armenische Truppenteile an einem Manöver der US-Armee, Frankreich kündigte die Lieferung von Luftverteidigungssystemen an, Armenien will den Internationalen Strafgerichtshof anerkennen. Bei einem Besuch des russischen Kriegspräsidenten in Armenien müsste dieser dann aufgrund des Haftbefehls verhaftet werden. Armenien und die EU haben ebenso Kontakte aufgenommen.
Der autoritäre Präsident von Aserbaidschan, Ilham Alijew, nutzt die Gunst der Stunde, die armenische Schwäche. Allein gelassen, verraten von Russland, die EU und die USA sind noch weit weg. Im neuerdings aserbaidschanisch kontrollierten Bergkarabach kniete Alijew an einem Flaggenmast in Chankendi (armenisch Stepanakert). Er küsste die hellblau-rot-grüne Fahne, tritt später demonstrativ über das Wappen von Bergkarabach. Eine Demütigung für die Armenier, besonders für die geflüchteten Arzach-Armenier. Aserbaidschan will inzwischen mehr. Östliche Landesteile Armeniens bezeichnen aserbaidschanische Politiker als „West-Aserbaidschan“, der unverhüllte Anspruch auf armenisches Territorium.
Unterstützung dafür kommt vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der bei einem Besuch in Nachitschewan sich dafür aussprach, die westlich von Armenien gelegene aserbaidschanische Enklave mit einem Korridor an die Republik Aserbaidschan zu verbinden. Ein Korridor quer durch das südliche Armenien. Das schmeckt nach Annektion des südarmenischen Territoriums. Als Blaupause dient offensichtlich die Angliederung des Ostukraine an Russland. Putin macht es erfolgreich vor.
Aserbaidschan, in seinem Krieg gegen Arzach unterstützte auch die rechte israelische Regierung die Aseris, demütigt mit neuen Initiativen Armenien. Baku regte ein Friedensabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan an. Einen Frieden, der die Armenier beruhigen soll, einen Frieden, der offenbar als Vorbereitung des „Korridor-Plans“ dient. Auf dem Tbilisi Silk Forum im vergangenen Oktober erdrückte der aserbaidschanische Premierminister mit seiner publikumswirksamen Freundlichkeit den armenischen Premier. Der Kriegsgewinner als freundlicher Nachbar von nebenan, der seine Interessen durchzusetzen weiß. Nicht nur militärisch. Das geschwächte Armenien erklärte sich nach den in Korridor-Projekten verpackten Annektionsplänen bereit, fünf neue Grenzübergänge zu Aserbaidschan und zwei neue Übergänge zur Türkei zu errichten.
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